Die johanneische
Eschatologie
1.
Präsentische und futurische Eschatologie |
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Die johanneische Eschatologie ist vornehmlich
präsentische Eschatologie, d.h. mit dem Kommen Jesu
ist nach Joh. die Stunde des Heils endgültig,
unwiderruflich und unüberbietbar da. In der Begegnung mit
Jesus erfährt der Mensch die Krisis, das Gericht,
das zugleich Entscheidung und Scheidung bedeutet. Dies wird
durch folgende Beobachtungen deutlich:
- Inhaltlich ist
das Wirken Jesu streng auf einen Punkt hin konzentriert: Jesus
ist Sohn des himml. Vaters. In der Frage, ob Menschen an ihn
als den Gottessohn glauben, fällt die Entscheidung
über Leben und Tod. Darin, dass sich die Menschen an
Jesus glauben oder diesen Glauben verweigern, ereignet sich
bereits jetzt das eschatologische Gericht. Zwar ist der Sohn
nicht primär gesandt, um das Gericht zu vollziehen (3,17),
jedoch ist das Gericht automatische Folge der Ablehnung des
Sohnes (3,16-21; 3,36; 5,24-30; 9,39ff; 12,44-48).
- Der Prolog berichtet vom Kommen des
präexistenten Logos in die Welt; dieser wirkt eine
eschatologische Scheidung: der Kosmos und die gottfeindlichen
Mächte erkannten ihn nicht, die Seinen erkennen ihn und
werden dadurch Gottes Kinder.
- Auch die beiden Hauptteile des Evangeliums schildern
diesen Scheidungsprozeß:
- 1-12: Offenbarung Jesu vor der Welt, die ihn,
repräsentiert durch die ungläubigen Juden,
ablehnt.
13-21: Selbstoffenbarung Jesu vor den "Seinen". - Die
Totenauferstehung, die in anderen urchristlichen Traditi
nen als futurisch vorgestellt wird, ereignet sich nach Joh.
bereits in der Gegenwart (5,24; 8,21; 11,25). Diese
präsentische Auferstehung macht dann die Unterscheidung
zw. physischen Tod und wahrem Tod notwendig (Dies
äußert sich bei Joh. durch die Unterscheidung von
zw» und yuc»). Auf weitere apokalyptische
Vorstellungen für ein zukünftiges Gericht wird
weitgehend ver zichtet.
Neben dieser
präsentischen Eschatologie gibt es allerdings auch deutlich
futurische Aussagen: - 5,28f: allgemeine
Auferstehung, entweder zum ewigen Leben oder zum Gericht.
- 6,40+41+44+54: Auferstehung am letzten Tag.
Folgende Deutungen für diesen Sachverhalt werden
vorgeschlagen: - R.Bultmann: Johannes habe den Gedanken
an eine zukünftige Vollendung von Welt und Geschichte
konsequent beiseite gelassen. Sätze wie 3,18f. und 5,21f.,
in denen futurische Vorstellungen anklingen schreibt er dem
kirchlichen Redaktor zu. Wenn Joh. von der Zukunft spreche, dann
sei sie auf die Zukunft des einzelnen Glaubenden nach dem Ende
seines irdischen Lebens bezogen.
- L.Schottroff: Joh. polemisiere bewusst gegen die kirchliche
Eschatologie mit ihrer Vorstellung von der Weltvollendung. Die
Eschatologie des Joh. sei streng gnostisch: es gehe ihm um die
jetzt erfolgende Befreiung und Entweltlichung der Seele.
- O.Cullmann: Bei Joh. liege ein linear-heilsgeschichtliches
Denken vor: präsentische und futurisch-eschatologische
Aussagen seien vielfach miteinander verbunden, und zwar so, dass
die präsentischen Aussagen einen
heilsgeschichtlich-futuristischen Sinn hätten. Der Satz
"die Stunde kommt und ist jetzt da" meine, dass das kommende
Endgeschehen bereits im inkarnierten Jesus da sei. Hier wird
also v.a. die futurische Dimension betont.
- J.Roloff: Der Ansatz der eschatologischen Aussagen bei Joh.
liegt in der Christologie; sein eschatologisches Denken ist von
der Gegenwart Christi bestimmt. Weil in Christi Wort und Werk
sich Gottes Handeln ereignet, ist die Begegnung mit ihm das
ganze Heil; ein Mehr an Heil ist nicht denkbar, deshalb ist das
Zukünftige für Joh. peripher gegenüber dem
Zentralen: Jesus gibt sich selbst und gewährt die
Gemeinschaft mit ihm. Joh. polemisiert nicht gegen eine
Zukunftseschatologie, er setzt sie voraus, aber sie ist für
ihn sachlich nur von geringer Bedeutung. Zwar ist bei einzelnen
Zukunftsaussagen mit einer Redaktion zu rechnen, aber
keinesfalls bei allen (so z.B. 14,2f; 16,25f; 17,24). Joh.
erwartet eine sichtbar vollendete Gemeinschaft mit Jesus (14,2;
17,24). Doch bringt die Zukunft nur die Enthüllung
dessen, was jetzt schon in der Verhüllung heilvolle
Wirklichkeit für den Glaubenden ist (Spannung zw.
"Schon" u. "Noch nicht"). Dem entspricht, dass keine der joh.
Zukunftsaussagen von einem zukünftigen Gericht durch den
wiederkommenden Herrn handelt. Auch die Auferstehung zu Leben
oder Gericht in 5,28 ist letztlich nur Bestätigung
der Entscheidung, die im heute vollzogen wird (5,24 "wer
mein Wort hört und glaubt...der hat ewiges Leben"). Die
Rede vom Parakleten zeige, dass für Joh. die Zeit
der Gegenwart weder heilsleere Zeit des Wartens noch Zeit des
Rückblicks auf vergangenes Heil ist, sondern Zeit der
Erfüllung ist. Dieser Beistand und Fürsprecher
für die Jünger und gegen den Kosmos bringt das
Gekommensein Jesu in der Gegenwart immer wieder neu zur Geltung,
d.h. er hält Offenbarungsgeschehen und Entscheidung/Gericht
gegenwärtig (vgl.: 14,16f.26; 15,26; 16,7-11.13-15).
Dem differenzierten Ansatz Roloffs ist der Vorzug zu
geben, da er weder präsentische noch futurische Aussagen
unterdrücken muss, sondern sie sinnvoll zusammendenken
kann.
2. Der
johanneische Dualismus |
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Auf dem Hintergrund dieser Eschatologie ist der johann.
Dualismus zu verstehen. Dieser Dualismus bezieht sich auf
den kosmÒj. Hierunter versteht
Joh. zumeist nicht die Welt als Ganzes, sondern die
Menschenwelt (1,10; 3,16f). In diese Menschenwelt ist der
Gottessohn gesandt (3,17; 10,36; 17,18 u.a.). Durch diese
Sendung kam es zur Möglichkeit des Glaubens an Jesus und
damit zur Gottesgemeinschaft; aber auch zur Möglichkeit der
Ablehnung. Die Menschenwelt hat aber aus sich heraus nicht die
Möglichkeit zum Glauben, der kosmÒj ist dem Gottessohn feind (zum
johann. Determinismus vgl. "Die johanneische Soteriologie").Der
¥rcwn toà kÒsmou ist
der Widersacher des Gottessohnes. So gibt es einen radikalen
Widerspruch zwischen Gott und kosmÒj, der allerdings erst durch die
Sendung des Gottessohnes in seiner Radikalität bewusst
wird. Dieser Widerspruch wird durch verschiedene Dualismen
beschrieben:
- Licht (fîj)/Finsternis (skot…a): Der kosmÒj ist in Finsternis (1,4f), und
er bleibt in der Finsternis, wo die Menschen nicht an Christus
glauben (1,19; 8,12; 12,46). Finsternis ist dabei mit dem
Bösen parallelisiert (3,19f). Jesus dagegen stellt das
Licht dar (1,7f; 8,12; 9,5; 12,35f+46), das den Blinden das
Augenlicht gibt (9) und das den Glaubenden ermöglicht,
Söhne des Lichtes zu werden (12,36).
- Wahrheit (¢l»qeia)/Lüge (yeàdoj): Jesus bringt nicht nur die
Wahrheit (1,14+17; 8,40), sondern er ist sie auch (5,33; 14,6).
Die Wahrheit ist Teil der dÒxa
Gottes (1,14), Menschen die an Christus glauben, tun sie (3,21)
und beten Gott in der Wahrheit an (4,23f). Die Wahrheit, die
Christus bringt, macht die Menschen frei (8,32). Dagegen ist
keine Wahrheit im Teufel, denn er ist ein Mörder von Anfang
an (8,44), er lügt und ist Vater der Lüge (8,44f). Der
kosmÒj kann den Geist der
Wahrheit nicht empfangen (14,17). -
- Leben (zw»)/Tod
(q£natoj): Im Logos war das
Leben (1,4), der Gottessohn ist die Auferstehung und das Leben
(11,25; 14,6), er gibt lebendiges Wasser zu trinken (4,10) und
das Brot des Lebens (6,27+35+48+51), er kommt, damit die
Menschen Leben in Fülle haben (10,10); wer an ihn glaubt,
hat das (ewige) Leben (3,15f; 3,36; 5,24-29; 6,40+47) und ist
bereits aus dem Tod ins Leben hinübergegangen (5,24;
8,51f). Wer aber nicht glaubt, bleibt unter der Ñrg» toà qeoà
(3,36).
Deutlich ist zu erkennen, dass Licht,
Wahrheit, Leben etc. erst durch Jesus Christus zu
Möglichkeiten menschlicher Existenz werden. Diese
Möglichkeiten laufen nicht parallel durch die Geschichte,
die Grenze zwischen ihnen liegt im Kommen Christi. Er bringt im
Kosmos, der bislang von der Finsternis beherrscht war den Willen
Gottes wieder zur Geltung, indem er Gnade und Wahrheit offenbart
(1,14). Der Mensch, der Jesu Ruf folgt, ist in den Bereich des
Lichtes hinübergegangen. Der, der sich diesem Ruf
verschließt, gibt sich endgültig der Finsternis
anheim.
Wie alle diese Dualismen, die in ihrer konkreten
Füllung sehr formelhaft bleiben, konkret zu interpretieren
sind, wie also das Heil zu verstehen ist, das Christus bringt,
ist im Rahmen der johann. Soteriologie zu beschreiben (vgl. Die johanneische
Soteriologie). Nach dualistischem Muster gibt es auch
zwei Weisen des Seins, die durch Herkunfts-Dualismen
gekennzeichnet werden:
- ™k
toà kosmoà / ™k
qeoà: Die Menschen, die nicht an Jesus glauben,
sind ™k toà kosmoà
(8,23; 3,31), Jesus und die Seinen dagegen nicht (17,14-16).
- von oben (™k tîn
¥nw) / von unten (™k tîn
k£tw): Jesus kommt von oben (3,13+31; 8,23), die
Glaubenden werden ¥nwqen (von oben
oder von Neuem) eboren (3,3+5), die Nicht-Glaubenden dagegen
sind von unten.
Da Christus dem Kosmos wesensfremd
ist und Christus den Sieg über den Kosmos davongetragen hat
(16,33; 1.Joh.5,4), können die in Gemeinschaft mit ihm
Lebenden auch den Kosmos überwinden und von der
Liebe zur Welt frei sein (17,14-19; 1.Joh.2,15). Damit ist wohl
keine spirituelle Entweltlichung gemeint, sondern konkret die
Bereitschaft, auf persönliche Vorteile zu verzichten und
die Anfechtungen auf sich zu nehmen, die die Welt bietet (Wengst
gegen Bultmann). Diese eschatologische Existenz ist
gekennzeichnet durch Glauben (vgl. Die johanneische
Soteriologie) und Liebe (vgl. Die
johanneische Ethik). Der Widerspruch zw. kosmÒj und Gott führt jedoch
nicht zur gnostischen Konsequenz, dass der Kosmos durch ein
Versagen der göttlichen Welt entstanden sei. Der Kosmos ist
weiterhin Gottes Schöpfung. Der
religionsgeschichtl. Hintergrund des Dualismus ist also
weniger in der Gnosis zu suchen, da diese die Welt nicht mehr
als Schöpfung Gottes bezeichnet und einen statischen
Dualismus kennt. Eher dürften hier Einflüsse
Qumrans vorliegen, denn auch dort gibt es die Vorstellung
vom Kampf der Söhne des Lichts gegen die Söhne der
Finsternis. Die Zugehörigkeit zu den Söhnen des Lichts
entscheidet sich aber in der Zugehörigkeit zur
Qumran-Gemeinde bzw. im Halten des Gesetzes. Damit findet sich
auch dort ein geschichtlicher Dualismus. Anders als in
der Gnosis wird bei Joh. auch nicht über die Entstehung der
Finsternis spekuliert. Die Finsternis besteht darin, dass die
Menschen Gott nicht kennen, sie verschärft sich, indem sie
Jesus ablehnen. Jedoch gibt es dafür keine kosmologische
Begründung, auch nicht für d. johann.
Determinismus (vgl. Die johanneische
Soteriologie).
Treibende Kraft für den johanneischen
Dualismus dürfte - ähnlich wie in Qumran - die
Situation der Gemeinde als verfolgte Minderheit sein.
3. Die johanneische Gemeinde und
die Juden |
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Angewandt werden diese dualistischen Vorstellungen in der
Auseinandersetzung mit den Juden. Die Juden werden seit
Bultmann oft als "Repräsentanten des ungläubigen
Kosmos" bezeichnet (so auch Ed.Lohse). Doch ist zu
berücksichtigen, dass für die johann. Gemeinde die
Juden wohl weithin diejenigen waren, die der Botschaft, Jesus
sei der Gottessohn, nicht glauben schenkten. Sie sind nicht nur
modellhaft als Repräsentanten verstanden, sondern werden
faktisch als Widersacher erlebt (vgl. -> Geschichte der johanneischen Schule).
Der Grund für den Konflikt zw. Gemeinde und Juden, der
von Joh. thematisiert wird, liegt für Joh. in der jüd.
Messiasdogmatik, die Ergebnis der jüd.
Schriftexegese ist. Demnach muss der Messias
- als
Davidide in Bethlehem geboren sein (7,42). Für Jesus trifft
das nicht zu - Joh. kennt weder die Davidsohn-Tradition noch
einen Geburtsbericht, der Bethlehem erwähnt.
- in Ewigkeit bleiben und kann nicht sterben, schon gar nicht
am Kreuz (12,34).
- eine andere Messias-Tradition spricht von der unbekannten
Herkunft des Messias (7,27). Doch Jesu Herkunft ist
bekannt.
Diesen Einwänden hält das Joh.
entgegen, dass erst vom Glauben an den Messias das AT richtig
verstanden werden kann. Dabei soll nicht das AT als
grundsätzliche Norm, an der Jesu Messianität erkannt
werden kann, ausgeschaltet werden. Jesus ist nicht "Gottes
Offenbarung, die alles in Frage stellt, was die Menschen sind,
denken und urteilen" (Ed. Lohse im Widerspruch zu Bultmann).
Jesus ist nur etwas Neues gegenüber dem AT. Von hier aus
lässt sich das AT erst richtig verstehen, so dass es dann
durchaus für Jesus zeugt: "Wenn ihr Mose glauben
würdet, müsstet ihr auch mir glauben; denn über
mich hat er geschrieben" (5,45-47; vgl. auch 2,22; 12,16; 20,9;
10,36)
Trotz aller scharfen Polemik gegen die Juden, ist
Joh. nicht grundlegend antijudaistisch. So finden sich
auch unter den Juden Menschen, die an Christus glauben (1,45+49;
12,42). Ja es findet sich sogar der Spitzensatz "Das Heil kommt
von den Juden" (4,22), der allerdings von manchen auch als
Glosse bezeichnet wird. Allerdings wird den Juden auch
vorgehalten "ihr habt den Teufel zum Vater" (8,44). Jedoch gilt
dieser Vorwurf sicher nicht nur den Juden, sondern der ganzen
ungläubigen Welt.
Bei den antijudaistischen Aussagen
des Johannes-Evangeliums ist zu bedenken, dass die johanneische
Schule selbst eine jüdische Gruppierung repräsentiert,
die sich mit der jüdischen Mehrheit über die wahre
jüdische Identität streitet
Literatur: Roloff, Neues
Testament, S.137-148; Ed.Lohse,
Grundriß der neutestamentlichen Theologie, S.132-138.
Copyright: Matthias Kreplin, 2000