Die johanneische Eschatologie
 
 
1. Präsentische und futurische Eschatologie
2. Der johanneische Dualismus
3. Die johanneische Gemeinde und die Juden



 
1. Präsentische und futurische Eschatologie

Die johanneische Eschatologie ist vornehmlich präsentische Eschatologie, d.h. mit dem Kommen Jesu ist nach Joh. die Stunde des Heils endgültig, unwiderruflich und unüberbietbar da. In der Begegnung mit Jesus erfährt der Mensch die Krisis, das Gericht, das zugleich Entscheidung und Scheidung bedeutet. Dies wird durch folgende Beobachtungen deutlich:

Neben dieser präsentischen Eschatologie gibt es allerdings auch deutlich futurische Aussagen: Folgende Deutungen für diesen Sachverhalt werden vorgeschlagen: Dem differenzierten Ansatz Roloffs ist der Vorzug zu geben, da er weder präsentische noch futurische Aussagen unterdrücken muss, sondern sie sinnvoll zusammendenken kann.
 
 
2. Der johanneische Dualismus

Auf dem Hintergrund dieser Eschatologie ist der johann. Dualismus zu verstehen. Dieser Dualismus bezieht sich auf den kosmÒj. Hierunter versteht Joh. zumeist nicht die Welt als Ganzes, sondern die Menschenwelt (1,10; 3,16f). In diese Menschenwelt ist der Gottessohn gesandt (3,17; 10,36; 17,18 u.a.). Durch diese Sendung kam es zur Möglichkeit des Glaubens an Jesus und damit zur Gottesgemeinschaft; aber auch zur Möglichkeit der Ablehnung. Die Menschenwelt hat aber aus sich heraus nicht die Möglichkeit zum Glauben, der kosmÒj ist dem Gottessohn feind (zum johann. Determinismus vgl. "Die johanneische Soteriologie").Der ¥rcwn toà kÒsmou ist der Widersacher des Gottessohnes. So gibt es einen radikalen Widerspruch zwischen Gott und kosmÒj, der allerdings erst durch die Sendung des Gottessohnes in seiner Radikalität bewusst wird. Dieser Widerspruch wird durch verschiedene Dualismen beschrieben:

Deutlich ist zu erkennen, dass Licht, Wahrheit, Leben etc. erst durch Jesus Christus zu Möglichkeiten menschlicher Existenz werden. Diese Möglichkeiten laufen nicht parallel durch die Geschichte, die Grenze zwischen ihnen liegt im Kommen Christi. Er bringt im Kosmos, der bislang von der Finsternis beherrscht war den Willen Gottes wieder zur Geltung, indem er Gnade und Wahrheit offenbart (1,14). Der Mensch, der Jesu Ruf folgt, ist in den Bereich des Lichtes hinübergegangen. Der, der sich diesem Ruf verschließt, gibt sich endgültig der Finsternis anheim.
Wie alle diese Dualismen, die in ihrer konkreten Füllung sehr formelhaft bleiben, konkret zu interpretieren sind, wie also das Heil zu verstehen ist, das Christus bringt, ist im Rahmen der johann. Soteriologie zu beschreiben (vgl. Die johanneische Soteriologie).

Nach dualistischem Muster gibt es auch zwei Weisen des Seins, die durch Herkunfts-Dualismen gekennzeichnet werden:

Da Christus dem Kosmos wesensfremd ist und Christus den Sieg über den Kosmos davongetragen hat (16,33; 1.Joh.5,4), können die in Gemeinschaft mit ihm Lebenden auch den Kosmos überwinden und von der Liebe zur Welt frei sein (17,14-19; 1.Joh.2,15). Damit ist wohl keine spirituelle Entweltlichung gemeint, sondern konkret die Bereitschaft, auf persönliche Vorteile zu verzichten und die Anfechtungen auf sich zu nehmen, die die Welt bietet (Wengst gegen Bultmann). Diese eschatologische Existenz ist gekennzeichnet durch Glauben (vgl. Die johanneische Soteriologie) und Liebe (vgl. Die johanneische Ethik).

Der Widerspruch zw. kosmÒj und Gott führt jedoch nicht zur gnostischen Konsequenz, dass der Kosmos durch ein Versagen der göttlichen Welt entstanden sei. Der Kosmos ist weiterhin Gottes Schöpfung. Der religionsgeschichtl. Hintergrund des Dualismus ist also weniger in der Gnosis zu suchen, da diese die Welt nicht mehr als Schöpfung Gottes bezeichnet und einen statischen Dualismus kennt. Eher dürften hier Einflüsse Qumrans vorliegen, denn auch dort gibt es die Vorstellung vom Kampf der Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis. Die Zugehörigkeit zu den Söhnen des Lichts entscheidet sich aber in der Zugehörigkeit zur Qumran-Gemeinde bzw. im Halten des Gesetzes. Damit findet sich auch dort ein geschichtlicher Dualismus. Anders als in der Gnosis wird bei Joh. auch nicht über die Entstehung der Finsternis spekuliert. Die Finsternis besteht darin, dass die Menschen Gott nicht kennen, sie verschärft sich, indem sie Jesus ablehnen. Jedoch gibt es dafür keine kosmologische Begründung, auch nicht für d. johann. Determinismus (vgl. Die johanneische Soteriologie).

Treibende Kraft für den johanneischen Dualismus dürfte - ähnlich wie in Qumran - die Situation der Gemeinde als verfolgte Minderheit sein.
 
 
3. Die johanneische Gemeinde und die Juden

Angewandt werden diese dualistischen Vorstellungen in der Auseinandersetzung mit den Juden. Die Juden werden seit Bultmann oft als "Repräsentanten des ungläubigen Kosmos" bezeichnet (so auch Ed.Lohse). Doch ist zu berücksichtigen, dass für die johann. Gemeinde die Juden wohl weithin diejenigen waren, die der Botschaft, Jesus sei der Gottessohn, nicht glauben schenkten. Sie sind nicht nur modellhaft als Repräsentanten verstanden, sondern werden faktisch als Widersacher erlebt (vgl. -> Geschichte der johanneischen Schule).
Der Grund für den Konflikt zw. Gemeinde und Juden, der von Joh. thematisiert wird, liegt für Joh. in der jüd. Messiasdogmatik, die Ergebnis der jüd. Schriftexegese ist. Demnach muss der Messias

Diesen Einwänden hält das Joh. entgegen, dass erst vom Glauben an den Messias das AT richtig verstanden werden kann. Dabei soll nicht das AT als grundsätzliche Norm, an der Jesu Messianität erkannt werden kann, ausgeschaltet werden. Jesus ist nicht "Gottes Offenbarung, die alles in Frage stellt, was die Menschen sind, denken und urteilen" (Ed. Lohse im Widerspruch zu Bultmann). Jesus ist nur etwas Neues gegenüber dem AT. Von hier aus lässt sich das AT erst richtig verstehen, so dass es dann durchaus für Jesus zeugt: "Wenn ihr Mose glauben würdet, müsstet ihr auch mir glauben; denn über mich hat er geschrieben" (5,45-47; vgl. auch 2,22; 12,16; 20,9; 10,36)
Trotz aller scharfen Polemik gegen die Juden, ist Joh. nicht grundlegend antijudaistisch. So finden sich auch unter den Juden Menschen, die an Christus glauben (1,45+49; 12,42). Ja es findet sich sogar der Spitzensatz "Das Heil kommt von den Juden" (4,22), der allerdings von manchen auch als Glosse bezeichnet wird. Allerdings wird den Juden auch vorgehalten "ihr habt den Teufel zum Vater" (8,44). Jedoch gilt dieser Vorwurf sicher nicht nur den Juden, sondern der ganzen ungläubigen Welt.
Bei den antijudaistischen Aussagen des Johannes-Evangeliums ist zu bedenken, dass die johanneische Schule selbst eine jüdische Gruppierung repräsentiert, die sich mit der jüdischen Mehrheit über die wahre jüdische Identität streitet


Literatur: Roloff, Neues Testament, S.137-148; Ed.Lohse, Grundriß der neutestamentlichen Theologie, S.132-138.



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