Die johanneische Ethik
 
 


Die johanneische Ethik konzentriert sich im Liebesgebot. Die Gemeinde wird dadurch zur Liebesgemeinschaft: "Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt ihr einander lieben" (13,34). "Neu wird das Gebot genannt, weil es das neue Leben der Glaubenden auszeichnet. Auf der anderen Seite aber gilt es immer schon und kann daher 1.Joh.2,7 nicht das neue, sondern das alte Gebot heißen" (Lohse, 140). Die Liebe wird damit zum konstitutiven Merkmal der Gemeinde (13,34).

Mit Liebe beschreibt Joh. aber auch das, was sonst mit Glauben bezeichnet wird: Das Verhältnis zu Jesus bzw. dem Vater (15,9ff). Und die Liebe der Jünger ist dann nichts weiter als Nachahmung der Liebe, mit der Gott zuerst geliebt hat (15,9ff; 17,23; 1.Joh.4,11+19f u.a.). Wenn damit in der Liebe sowohl die Gottesliebe als auch die Menschenliebe gemeint ist, so steht Joh. ganz in der urchristlichen Tradition, die im Doppelgebot der Liebe die Mitte des Gesetzes sah. Nur bringt Joh. dieses Gebot nicht mehr in Beziehung zu dem Terminus Gesetz.
Das Liebesgebot wird oft als bewusste Einschränkung gegenüber der vom synopt. Jesus geforderten Nächsten- und Feindesliebe verstanden (so. z.B. Käsemann, Jesu letzter Wille..., S.123f). Doch findet sich eine explizite Beschränkung bei Joh. nicht.

Der eigentliche Sitz im Leben dieses Gebotes ist die Verfolgungssituation (15,9ff). Das Liebesgebot ist für die Gemeinde "eine schlichte Notwendigkeit", wenn sie in der Verfolgung überleben will (Wengst, 124). Das Liebesgebot ist damit nicht mit einer reinen Individual- oder Situationsethik zu verwechseln. Es geht hier um die Solidarität zu einer konkreten Sozialgestalt. Gefordert ist hier die Solidarität mit verfolgten Brüdern, die selbst das Risiko eigener sozialer Deklassierung mit sich bringt (12,42f). Eine Begrenzung des Liebesgebots auf die Gemeinde ist auch deshalb nicht anzunehmen, weil bei Joh. ausdrücklich von der Liebe Gottes zur Welt, nicht nur zu den Glaubenden gesprochen wird (3,16 - vgl. Wengst, 129).


Literatur:  Ed. Lohse, Grundriß der neutestamentlichen Theologie, S.138-142; Kl. Wengst, Bedrängte Gemeinde und verherrlichter Christus



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