Die johanneische Soteriologie
Dass wirkliches Heil für die Menschen nur durch den Glauben
an Jesus als dem Christus und Gesandten Gottes kommt, ist Grundthese
des JohEv.
1. Wie wird das Heil vorgestellt? |
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Das Heil besteht vornehmlich in der zw»
a„ènioj (3,15f; 4,14+36; 5,24-40; 6,27-54; u.v.a.m.). Dabei
ist festzuhalten, dass das
ewige Leben nicht rein jenseitig vorgestellt
wird, sondern bereits jetzt beginnen kann (5,24). So wird oft auch gar
nicht zwischen dem Leben und dem ewigen Leben differenziert (5,24-40).
Auffällig ist die häufig begegnende Formulierung e„j
zw»n (a„ènion) (4,14; 6,27; 12,25). Das ewige Leben
ist also etwas, in das die an Jesus Glaubenden (in Zukunft?) eintreten.
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Das Heil, das Jesus bringt, ist untrennbar mit seiner Person verbunden.
Jesus sagt nicht nur "ich bringe die Wahrheit und das Leben", er sagt:
"Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben" (14,6). Dies ist durchgehend
so in allen ™gè e„mi-Worten:
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6,35+48+51: Brot des Lebens
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8,12: Licht der Welt
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10,7+9: Tür (zu den Schafen)
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10,11: der gute Hirte
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11,25: Auferstehung und das Leben
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14,6: Weg, Wahrheit und Leben
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15,1: rechter Weinstock
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Diese Sätze sind "als Rekognitionsformeln zu bestimmen, die
auf die Frage antworten: Wer ist der Erwartete? Antwort: Ich bin es" (Lohse,
130). Roloff spricht auch v.
Offenbarungsformeln. Dabei wird evt.
an atl. Redeweise angeknüpft, wo JHWH sich in ähnlichen Formeln
selbst vorstellt (z.B. Ex.20,2; Jes.41,4; 51,12). Jesus wird dabei nicht
mit anderen Dingen und Erscheinungen verglichen, sondern Inhalte elementarer
Erwartungen wer den in Jesus wiedererkannt (Bultmann, Schweizer, Roloff
u.a.).
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Wichtig ist, dass in diesen ™gè e„mi-Worten
(und anderen Stellen) Jesus an
Grundbedürfnisse und Sehnsüchte
der Menschen anknüpft: Brot und Wasser (4,10ff), die wirkliches Leben
geben; Licht als Orientierung; die Tür zu den Schafen und ihr wahrer
Hirte; er ist Auferstehung etc. Das Heil, das Jesus bringt, ist also Erfüllung
der menschlichen Wünsche nach Heil, nicht deren Bestreitung. Fast
alle ™gè e„mi-Worte sind so mit einem
soteriologischen Nachsatz verknüpft.
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Dieses Heil, das Jesus bringt, ist ausschließlich in ihm zu haben
(14,6; 3,15ff). Das Joh. vertritt so einen radikalen Ausschließlichkeitsanspruch.
Außerhalb des Glaubens an Jesus Christus gibt es kein Heil. Dies
wird in den ™gè e„mi-Worten u.a. dadurch
zum Ausdruck gebracht, dass z.B. nicht nur vom Brot, sondern ausdrücklich
vom "Brot des Lebens" gesprochen wird, oder vom "wahren Weinstock". Dieser
Ausschließlichkeitsanspruch kommt ferner darin zum Ausdruck, dass
es für Joh. vor Jesus keine wirkliche Gotteserkenntnis gab
(1,18; 5,37f).
Vollständig ist erst zu verstehen, was Joh. sich unter Heil vorstellt,
wenn die dualistischen Aussagen des Joh. herangezogen werden (Siehe
dazu "Die johanneische Eschatologie"). Hat der
johann. Dualismus darin seine Wurzeln, weil "die Welt und das Leben in
ihr ihrem Wesen nach als todgeweiht und vergänglich erfahren" wird,
so dass nach dem ewigen Leben als "Weltüberwindung" gefragt wird (Becker,
57)? Oder beschreibt der Dualismus vielmehr die eschatologische Scheidung,
die durch die Sendung Jesu Christi eintritt?
2. Wie werden Heil und Unheil in
der johann. Theologie interpretiert? |
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R.Bultmann sieht das Heil, das der johann. Jesus durch die von ihm erhobene
Glaubensforderung bringt, in der
Entweltlichung, die auf alle innerweltliche
Sicherheit verzichtet.
Ausgehend von der Beobachtung, dass das Heil ausschließlich an
die Person Jesu geknüpft ist, lässt sich die These aufstellen,
dass Heil bestehe für Joh. in der Gottesgemeinschaft, die dadurch
möglich ist, dass in Jesus (und später im Paraklet) Gott selbst
gegenwärtig ist (1,1; 20,28). Dafür spricht Folgendes:
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Jesus geht zum Vater, um seinen Jüngern einen Platz in den Wohnungen
vorzubereiten, die es dort gibt (14,1ff; vgl. auch 14,23). Hier steht wohl
das Bild vom Zusammenleben mit Gott im Hintergrund.
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Das Verhältnis Jesu zu den seinen Jüngern, wird im Bild des Rebstocks
(17,4-8) beschrieben und im Abendmahl hergestellt (6,51-58).
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Jesus liebt seine Jünger (11,36; 13,2+34; 14,21; 16,27), er nennt
sie Freunde (15,14f).
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Dementsprechend ist die Einheit der Gemeinde von zentraler Bedeutung
(17,21ff).
Das ewige Leben ist dann die ewige und vollkommene Gottesgemeinschaft.
Damit ist keine rein jenseitige Größe gemeint. Die Gottesgemeinschaft
ist bereits jetzt in der Gemeinschaft der Nachfolgenden erlebbar. Versteht
man das Heil so, dann wird klar, weshalb der Glaube an Jesus als den Gottessohn
Bedingung für das Heil ist (s.u.). Nur aufgrund dieses Glaubens gibt
es nämlich eine Hinwendung zu Jesus (und zur Gemeinde) und damit die
Teilhabe an der Gottesgemeinschaft. Wird das Heil als Gottesgemeinschaft
verstanden, dann kann die johann. Soteriologie auch nicht mehr als individualistisch
ausgegeben werden (so Bultmann; Becker, 58). Zwar ist der Glaube ein individueller
Prozess, doch führt er hinein in die Gemeinschaft mit Gott und den
anderen Glaubenden.
3. Die Bedeutung des Kreuzestodes |
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Dass der Tod Jesu eine Heilsbedeutung hat, zeigt sich:
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im Zeugnis des Täufers: Jesus ist das ¢mnÕj
toà qeoà (Lamm Gottes), das die Sünden der Welt
trägt (a‡rein - ertragen? wegtragen?). Dass
hier wohl an das Passa-Lamm gedacht ist, zeigt die Passionsgeschichte:
Die Hinrichtung ist auf den Zeitpunkt der Schlachtung der Passa-Lämmer
datiert. Ferner ist die Bestattung Jesu so gestaltet, dass deutliche Parallelen
zum
Passa-Lamm gezogen werden (19,34-37). Dabei scheint zumindest
die Gestaltung der Passionsgeschichte auf den Evangelisten selbst zurück
zugehen.
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Durch den Kreuzestod Jesu wird der ¥rcwn toà
kÒsmou gerichtet (12,31; 14,30; 16,11). Dies kann der nachösterl.
Paraklet vergegenwärtigen. Deshalb kann er mehr bringen als der irdische
Jesus und deshalb ist es gut, dass Jesus stirbt (16,7).
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Joh.15,13 könnte eine Deutung für den Kreuzestod Jesu sein: "Es
gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für
seine Freunde gibt." Liebe Jesu zu den Jüngern und seine Todeshingabe
werden dann 1.Joh.3,16 identifiziert. Auch die Passionsgeschichte interpretiert
Jesu Tod als Eintreten für die Seinen (18,8f). Hier ist ferner an
die Stellung der Fußwaschung innerhalb der Passionsgeschichte zu
denken.
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Als Herstellung von Gemeinschaft durch den Kreuzestod kann auch das Logion
"Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt
es allein, wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht" (12,24) verstanden
werden.
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Zwar kennt Joh. auch die traditionelle Hingabe-Formel
(3,16; vgl.
Röm.8,32; 4,25), jedoch besteht für Joh. die Hingabe nicht nur
im Tod Jesu, sondern in seiner
Sendung in die Welt. Dennoch steht
auch hier der Tod Jesu im Zshg. mit der Hingabe (3,14f).
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Die Komposition des Joh.-Evang als
"Passionsevangelium" (Thyen,
vgl. -> Die Komposition des Johannes-Evangelium)
macht deutlich, dass der Tod Jesu von zentraler Bedeutung ist.
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1.Joh.3,16 weist daraufhin, dass Jesus sein Leben für uns gelassen
habe. Ferner wird 1.Joh.2,2; 4,10 Jesus als ƒlasmÒj
™stin perˆ tîn ¡martiîn ¹mîn (Sühne
für unsere Sünden) genannt.
Es gibt also zweifellos, die Vorstellung von einer Heilsbedeutung des Todes
Jesu bei Joh. Umstritten ist allerdings, ob sie ein konstitutives Element
der johann. Soteriologie oder lediglich ein traditionell vorhandenes, inhaltlich
aber am Rande stehendes Traditionselement darstellt. Dies entscheidet sich
u.a. daran, wie die Rede von der Verherrlichung bzw. Erhöhung
Christi
interpretiert wird.
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Die dÒxa Jesu ist zunächst die göttliche
(1,14; 11,40; 17,5+22).
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Jesu Weg ans Kreuz und sein Tod kann als Verherrlichung verstanden werden
(7,39; 12,16+23; 17,1ff).
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Oben ist die Sphäre Gottes (3,13+31).
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Jesu Kreuzigung ist Erhöhung (Øyoq»nai
- 3,14; 12,32+34).
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Kreuz und Erhöhung bzw. Verherrlichung werden miteinander identifiziert.
So ist es "geradezu der Skopus des johanneischen Passionsberichtes, zu
zeigen, daß das Geschehen, das von der Öffentlichkeit der Welt
als Erweis der Ohnmacht Jesu galt, für die Glaubenden Enthüllung
seiner Herrlichkeit ist" (Roloff, NT, S.193)
Folgende Interpretationsmodelle sind denkbar:
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Verherrlichung ist zu verstehen als Rückkehr in die Herrlichkeit
des Präexistenten (17,5). Der Tod ist demnach nur das Ende des
irdischen Lebens Jesu (vgl. Jesu letzte Worte: "Es ist vollbracht" - 19,30).
Er hat keine besondere Bedeutung. Folgerichtig ist auch die Rede von der
Erhöhung Jesu nur eine Identifikation von Kreuzestod und Wiederaufstieg
zum Vater, die durch die Todesart nahegelegt war. Konsequenterweise ist
auch die Heilsbedeutung des Todes Jesu als traditionelles Motiv zu verstehen,
das in der johann. Theologie nur am Rand steht (So Bultmann; Käsemann,
Jesu letzter Wille nach Joh.17, 44).
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Wenn der Tod Jesu als Verherrlichung bezeichnet wird, soll damit zum Ausdruck
gebracht werden, dass Jesus damit etwas
bewirkt. Gottes Herrlichkeit,
d.h. wohl sein Wesen, kommt sichtbar für die Menschen zum Ausdruck
(so. z.B. auch in der Lazarus Geschichte; vgl. 14,13; 11,4 u.a. 12,16f).
Das Jesu Verherrlichung etwas bewirkt, zeigt 12,28ff: Die Rede von
der Verherrlichung Jesu wird hier durch das Gericht über den ¥rcwn
toà kÒsmou interpretiert. Ferner wird davon gesprochen,
dass Jesus alle zu sich ziehen wird. Und auch 3,14bf wird gesagt:
"so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der (an ihn)
glaubt, in ihm das ewige Leben hat." Auch hier ist der Tod Jesu konstitutiv
für seine heilbringende Bedeutung. Wenn die Verherrlichung/Erhöhung
Jesu demnach etwas zugunsten der Glaubenden bewirken soll, dann ist dies
wohl im Sinne der oben genannten Sühne-Funktion bzw. Gemeinschaftsstiftung
zu interpretieren. Durch die Rückkehr durch den Tod hindurch zum
Vater stiften Jesus für die an ihn Glaubenden eine Gottesgemeinschaft,
die stärker ist als der Tod.
4. Die Zueignung des Heils durch
den Glauben |
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Zugeeignet wird das Heil aufgrund des Glaubens. Der Glaube, dass
Jesus der von Gott gesandte Sohn ist, ist die Bedingung zum Eingang ins
ewige Leben (3,16+18+36; 5,24; 6,28f; 8,12; u.a.m.). Der Gegensatz zum
Glauben ist demnach der Ungehorsam (3,36), der zum Gericht führt.
Wiederholt werden Glauben (pisteÚein)
und erkennen (ginèskein) als eng zusammengehörige
Begriffe genannt (6,69; 11,42; 17,8+21; u.a.). Rechter Glaube ist erkennender
Glaube. Darin hebt er sich vom Schein-Glauben ab, der sich auf Mirakel
gründet (2,23f; 7,31; 10,42; 11,45; 12,11). Dabei wird der Mirakel-Glaube
nicht grundsätzlich kritisiert, sondern nur betont, dass Glaube zur
vollen Erkenntnis des Gottessohnes, auch im Leidenden, kommen muss. Glauben
bedeutet dabei, ein
Gemeinschaftsverhältnis zu Christus aufzubauen
(15,4-7).
Der Glaube entsteht aus der Verkündigung, dass Jesus der Gottessohn
ist. Dabei gibt es prinzipiell keinen Unterschied, zw. vorösterl.
und nachösterl. Verkündigung, ist doch der nachösterl. Geist
(Paraklet) identisch mit dem vorösterl. Jesus. Der Glaube verdankt
sich also dem Zeugnis (martur…a / marture‹n
- 3,11+32f von Jesus selbst gesagt; 1,7 vom Täufer; 5,39 von den Schriften;
17,20 ist implizit das Zeugnis der Gemeinde angesprochen).
Auf der anderen Seite ist der Glaube von Gott gewirkt (6,44f; 18,37).
Mit dieser deterministisch klingenden Vorstellung wird deutlich
gemacht, dass
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Jesus nur als der Gottessohn verstanden wird, wo bereits vorher Gott selbst
gewirkt hat. Das Zeugnis Jesu bzw. der Gemeinde trifft also nur dann auf
Gehör, wenn es ein vorauslaufendes Handeln Gottes gegeben hat, dass
die Verstehensbedingungen für dieses Zeugnis geschaffen hat.
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also niemand seinen Glauben sich selbst verdankt, sondern immer ein unverfügbarer
Prozeß zum Glauben führt.
Literatur: Ed.Lohse, Grundriss der neutestamentlichen
Theologie, S.130f; J.Becker, ÖTK,
4/1, S.55-58; H.Thyen, TRE-Art. Johannesevangelium;
Copyright: Matthias Kreplin, 2000