Zur Geschichte der johanneischen Schule
1. Argumente für die Existenz
einer johanneischen Schule |
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Es ist sehr wahrscheinlich, dass die johanneische Literatur (Joh., 1-3.Joh.)
das Produkt eine theologischen Schule ist. Dafür spricht:
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Die Theologie des Joh. differiert stark von anderen Theologien, die im
NT überliefert ist. Eine solche Theologie ist nur innerhalb eines
relativ abgegrenzten Gemeindeverbandes denkbar. Ein solcher Verband
bedurfte wohl eines besonderen Theologenstandes, der Tradition weitergab
und lehrte (Dieser könnte sich in den Joh.-Briefen melden, deren Autor(en)
eine maßgebliche Autorität beanspruchen.)
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Die verschiedenen Schichtungen im Joh. und die Weiterentwicklung der Theologie
in den Johannes-Briefen kennen fundamentale Konstanten mit Abweichungen
und Entwicklungen an einigen Punkten (z.B. argumentiert 1.Joh gegen eine
doketische Christologie, wogegen in Joh. eine solche Polemik nicht begegnet).
Dies ist am ehesten in einer Schule denkbar. Eine solche Schule ist dann
das soziologische Kontinuum für die verschiedenen Entwicklungsstadien
der johann. Theologie.
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Für eine derartige Schule gibt es zahlreiche Analogien in der
Antike und auch im Urchristentum.
Wird von der johann. Schule ausgegangen, so lassen sich folgende Phänomene
gut verstehen:
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Die Gestalt des Lieblingsjüngers, der in die unmittelbare Nähe
Jesu gerückt wird (13,23; 19,26; 20,2; 21,7; 21,20+24; evt. auch 1,37+40;
18,15f; 19,34bf), stellt die Kontinuität zwischen der Zeit
Jesu und der johann. Schule her. In 21,24 wird er (vom Herausgeber des
Evang.) explizit mit dem Autor des Evangeliums identifiziert. Sein Tod
ist 21,20ff vorausgesetzt. "Darum muss diese Figur des Evangeliums auf
der Ebene der Gemeindegeschichte eine reale Entsprechung haben" (Thyen,
TRE-Art., S.214). Durch die Komposition des Evang. soll er wohl mit Johannes,
dem Zebedaiden identifiziert werden (21,2; 1,37ff; so auch die spätere
Tradition). Führt die Gemeinde sich also auf den Zebedaiden zurück?
Auffallend ist, dass zwar bei den anderen Jüngern Unverständnis
und Unglaube betont wird (12,16; 13,7; u.a.), der Lieblingsjünger
aber Jesus versteht und an seinem Wissen Anteil hat (13,21ff; 19,25-27;
20,8; 21,7). Daher ergibt sich eine Konkurrenz zu Petrus (13,23ff;
20,3ff; 21,7), die allerdings nicht die Vorrangstellung Petri leugnet.
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Evt. ist hier auch die Gestalt des Parakleten einzuordnen. Er steht
in einer Art Identitätsverhältnis mit Jesus und wird mit
dem Geist, der in den Jüngern wirkt, identifiziert. Dabei ist hier
nicht an ekstatische Phänomene gedacht (wie in den paulin. Gemeinden),
sondern an Lehre (14,26; vgl. auch 2,22). Die johann. Schule könnte
demnach die Paraklet-Vorstellung benutzt haben, um ihre eigene Theologie
zu legitimieren.
2. Zur Geschichte der johanneischen
Schule |
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Die Geschichte der johann. Schule und ihres Gemeindeverbandes lässt
sich nicht mehr in Einzelheiten rekonstruieren. Folgendes lässt sich
aber erkennen:
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Zur Zeit der Abfassung des Joh.-Evang. steht die Gemeinde in starker Auseinandersetzung
mit dem synagogal organisierten Judentum. Der Synagogenausschluss ist
bereits vollzogen (9,22; 12,42; 16,2). Dieser Ausschluss ist im Zshg. mit
der Aufnahme der "Verfluchung der Häretiker" ins Achtzehngebet durch
Rabbi Gamaliel II zw. 80 und 90 nChr. zu sehen. D.h. die johann. Gemeinden
mussten sich in dieser Zeit verselbständigen. Doch die Auseinandersetzung
mit dem Judentum blieb, darauf lassen die Texte schließen:
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Die Juden erscheinen als feste Gruppe, nur selten wird zw. jüdischen
Gruppen differenziert. Dem entspricht, dass das Judentum nach dem jüd.
Krieg praktisch nur noch in der Gruppe der Pharisäer überlebte.
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Die Distanz der Gemeinde zu den Juden ist gegeben: Jüd. Feste
und Gesetz gehen die Gemeinde nichts mehr an (8,17; 10,34). Die johann.
Gemeinden erscheinen deshalb gegenüber dem Judentum als eine Sekte:
sie sind eine Minorität, gekennzeichnet von Freiwilligkeit, Liebesgemeinschaft
und wenig institutioneller Ordnung, ohne staatsrechtliche Anerkennung und
mit einem relativ exklusiven Erwählungsbewusstsein.
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Über das Verhältnis zu anderen urchristlichen Gemeinden
ist aus der johann. Literatur nichts zu erfahren. Es liegt allerdings auch
keine Polemik vor, vielmehr dürfte die christl. Einheit unproblematische
Voraussetzung gewesen sein. "Doch ist sehr erwägenswert, ob nicht
z.B. die Petrustexte 1,40-42; 6,66-71; 20,1-20; 21,1-23 gerade angesichts
der joh. Sonderstellung ein gesamtkirchliches Interesse wachhalten wollen"
(J.Becker, 48).
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Ferner scheint es Spannungen mit der Täuferbewegung gegeben
zu haben. Darauf verweisen die vielen Texte, die u.a. auch dies thematisieren
(1,1-51; 3,22-30; 4,1f; 10,40-42). Diese Spannung scheint bis in die synagogale
Zeit hin zurückzureichen und auch nach d. Ausschluss aus dem Synagogenverband
noch zu bestehen. Wie sie sich allerdings konkret gestaltete, ist schwer
zu erkennen.
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Die Johannes-Briefe kennen (anders als das Evang.) eine Polemik gegen
eine innergemeindliche Gruppe, die eine doketische Christologie vertritt
(1.Joh.1,19+22; 2.Joh.7). Hier könnte der Konflikt mit gnostisierenden
Gruppen
im Hintergrund stehen. Vielleicht sind die Häretiker aber auch Judenchristen,
die um des jüdischen Monotheismus willen und damit zur Entschärfung
der jüdischen Verfolgung zwischen dem präexistenten Logos und
dem Menschen Jesus unterscheiden (so L.Schenke). Dieser Konflikt findet
sich allerdings noch nicht bei Joh., so dass der der Antidoketismus nicht
die Dominante Front bereits des Joh. darstellt (Nachweis bei Thyen, TRE-Art.,
S.212f).
Oft wurde auch versucht, eine theologiegeschichtliche Entwicklung der Christologie,
der Eschatologie oder des Dualimus' zu beschreiben. Dabei sind allerdings
die literarkritischen Entscheidungen und die Konzepte zur Theologiegeschichte
des Urchristentums, die die einzelnen Forscher in sehr verschiedener Weise
verwenden, von konstitutiver Bedeutung. Konsensfähige Ergebnisse wurden
bisher kaum erzielt.
Literatur: J.Becker, ÖTK 4/1,
S.40-51,56; Kl. Wengst, Bedrängte Gemeinde
und verherrlichter Christus; H.Thyen, TRE-Art. Johannesevangelium;
L.Schenke,
Johannesevangelium, S.121-124.
Copyright: Matthias Kreplin, 2000