Die Biographie des Paulus
Höchsten Quellenwert haben die autobiographischen Berichte in
den Paulusbriefen. Folgende Stellen
sind hier von großer Bedeutung:
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Gal.1,10-2,14: Von seiner Tätigkeit als Verfolger der Gemeinde bis
zum antiochenischen Zwischenfall.
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Phil.3,5f: Pauli Eifer für das Gesetz.
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2.Kor.11,21ff: Die Herkunft und das Geschick Pauli, dargestellt in seiner
Narrenrede.
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2.Kor.1,15-2,13; 7,5-7,16: Rückblick auf Reisen.
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Röm.15,22ff; 1.Kor.16; Phil2,19ff: Die Pläne für die Zukunft
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Gal., 1.Kor. und 2.Kor.: Auseinandersetzung mit theolog. Gegnern
Von weit geringerem Quellenwert dagegen ist die Apostelgeschichte,
obwohl sie weit mehr Material für die Paulus-Biographie bietet. Dies
wird an einigen Punkten deutlich:
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Act. verweigert dem Paulus den Rang und Titel des Apostels.
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Die Schilderung des antiochenischen Konflikts ist völlig verschieden.
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Act. ist eine unzutreffende Wiedergabe der paulin. Theologie.
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Ein Vergleich von gemeinsamen Reiseschilderungen in Act. und Paulusbriefen
zeigt, dass Act. den tatsächlichen Verlauf der Ereignisse zwar in
etwa kennt, aber oft vereinfachend wieder gibt (vgl.z.B.: Act.17f mit 1.Th.
- Act.18,2 mit 1.Kor.16,19 - Act.19 mit 1.Kor.15,32; 2.Kor.1,8 - Act.19,1-21,17
mit 2.Kor.2,1; 12,14; 13,1 - Act.20,1ff mit 2.Kor.8f und Röm.15,24).
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Act. ist zw. 80 und 100 entstanden, hat also einen relativ hohen zeitlichen
Abstand zu den Ereignissen. Doch kann Lk. evt. an einigen Stellen auf zeitgenössische
Quellen zurückgreifen.
Act. muss daher kritisch betrachtet werden, wenn die Lücken
der Paulus-Biographie zu schließen sind. Ein Vergleich mit den verstreuten
Notizen in den Briefen zeigt, dass Act. oft nur oberflächliche und
vergröbernde Kenntnis der paulin. Wirkung kennt.
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Paulus entstammt einer streng jüdischen Familie aus der Diaspora,
aus Tarsos in Kilikien (Act.21,39), einer hellenistischen Stadt
mit einer griechisch-orientalischen Mischbevölkerung. Auf Grund dieser
Abstammung dürfte er auch das römische Bürgerrecht gehabt
haben.
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Paulus war beschnitten (Phil.3,5) und stammte aus dem Stamm Benjamin
(Act.7,58; 8,1).
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Er wuchs als hellenistischer Jude auf und gehört nicht den
niederen sozialen Schichten an. Denn schon sein Vater besaß das städtische
und römische Reichsbürgerrecht, das er seinem Sohn vererbte
(Act.21,39; 22,28 - damit stehen aber die in 2.Kor.11,23-25 erwähnten
Bestrafungen in Spannung). Deshalb erhält Paulus (wahrscheinlich schon
bei seiner Geburt) diesen seinen römischen Namen, mit dem er
in seinen Briefen auftritt. Nur Act. erwähnt auch seinen jüdischen
Namen Saul(us).
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Er wird Pharisäer (Phil.3,5) und erhält seine Ausbildung
zum Schriftgelehrten in Jerusalem, nach Act.22,3 als Schüler
Gamaliels I. (oder ist die Verbindung mit Jerusalem sekundär?
vgl. auch Act.23,26). Die schriftgelehrte Auslegung lässt sich in
seinen späteren Schriften wiederfinden (vgl. Allgemeines
zu den paulinischen Briefen), es fehlt ihm aber die typische Kasuistik.
Ebenso hat diese Zugehörigkeit nicht seine hellenistische Abkunft
überdeckt, der er v.a. die Kenntnis stoischer Begriffe und Gedanken
verdankt (Freiheit, Knechtschaft, Gewissen, Tugend, Pflicht), sowie die
Beherrschung gewisser rhetorischer Kunstmittel und die Lehrform der Diatribe
(= volkstümliche, dialogische Abhandlung). Er war allerdings nicht
so umfassend griechisch gebildet wie z.B. Philo.
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Wie andere Rabbinen hat er einen weltlichen Handwerks-Beruf ausgeübt
(vgl. 1.Kor.4,12; 1.Th.2,9), er war Zeltschneider oder -sattler (skhnopoiÒj
- Act.18,3). Dadurch hielt er sich bei seiner missionarischen Tätigkeit
finanziell über Wasser (nur von der Gemeinde in Philippi nahm er Geldspenden
entgegen vgl. Phil.4,10ff; 2.Kor.11,8).
| 3. Die Bekehrung des Paulus |
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Paulus hat Jesus wohl selbst nicht mehr gekannt (2.Kor.5,16), wurde aber
im Eifer für Gesetz und Überlieferung der Väter zum Verfolger
der christlichen Gemeinde (Gal.1,13.23; Phil.3,6; 1.Kor.15,9; Act.7,58;
9,1ff).
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Laut Bornkamm macht die kritische Analyse der Act. deutlich, dass die erste
Verfolgung und Austreibung nur die gesetzesfreien Hellenisten getroffen
hat, v.a. im Raum Damaskus. Hier hat auch Paulus gewirkt (Gal.1,17; Act.9,2).
Die Verfolgung hat aber wohl nicht in der in Act. geschilderten vehementen
Art stattgefunden, da Hohepriester nie eine derartige Jurisdiktionsgewalt
besaßen (Todesstrafe). Vielmehr ist an schwere Prügelstrafe,
Bann und Synagogenausschluss zu denken (vgl. Lk.6,22; Joh.9,22). Der Angriff
auf das Gesetz war der entscheidenden Anlass für die Verfolgungen.
"Damit wurde das Entweder-Oder: Das Gesetz oder Jesus Christus zur
entscheidenden Frage seines Lebens".
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Paulus redet von seiner Bekehrung als Tat Gottes, die ihm durch
die Offenbarung des Gottessohnes und Herrn Jesus Christus widerfuhr, im
Sinne einer Christus-Vision (Gal.1,15; 1.Kor.9,1; 15,8), nennt auch
den Ort Damaskus (Gal.1,16f). Er reiht sich in die Reihe der Zeugen
des Auferstandenen ein (1.Kor.15,8) und erzählt doch nie nach
AT-Prophetenart eine Berufungsvision. Offenbarung ist für ihn im Sinne
von Röm.1,17; 3,21; Gal.1,15 ein die Welt angehendes, seine eigene
Person weit übertreffendes Geschehen.
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Act.berichtet auch von der Bekehrung (9,1ff; 22,4ff; 26,9ff), aber
ganz im Stil der legendären Epiphaniegeschichte. Dies steht
gänzlich im Gegensatz zur jeder Dramatik entbehrenden Sparsamkeit
der Briefstellen.
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Paulus wurde nicht von der Gottlosigkeit zum Glauben bekehrt, sondern von
der eigenen Gerechtigkeit aus Werken zur Gerechtigkeit aus Glauben (Phil.3,9).
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Umstritten ist, ob Paulus unter seinem Leben und Heilsverständnis
vor der Bekehrung gelitten hat (ist das "Modell" Luther auf Paulus anwendbar?):
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"Seiner eigenen Vergangenheit unter dem Gesetz (...) gedenkt P. überhaupt
nicht mit Schuldgefühlen, sondern mit Stolz, aber eben diese
stolze Vergangenheit bringt er, von der Gnade Gottes berufen (1.Kor.15,9f),
in Bekehrung und Glaube zum Opfer (Phil.3,7ff)." (Bornkamm, ebenso Lohse).
Das Gesetz gilt ihm nicht als Irrtum, sondern seine Gültigkeit steht
für ihn bis zur Erfüllung der Zeit fest (Gal.3,23-4,5). Ebensowenig
geraten sein Gottesbegriff und die Erwartung des Gerichts nach den Werken
ins Wanken (Röm.2,1-15; 2.Kor.5,10; 1.Kor.4,5).
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Zwar wird oft behauptet, Röm.7,7-25 sei nicht biographisch
auf Paulus zu deuten, doch konnte G.Theißen zeigen, dass Paulus hier
zwar transsubjektiv spricht, dabei aber durchaus eigene biographische Erfahrungen
einbringt (vgl. "Das Gesetz bei Paulus"). Aus Röm.7,7ff ist erkennbar,
da es für den Paulus vor der Bekehrung einen Konflikt zwischen
Gesetzesnorm und eigener Gesetzeserfüllung gab: "Das Wollen ist
in mir vorhanden, aber ich vermag das Gute nicht zu verwirklichen. Denn
ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht
will" (Röm.7,18f). Theißen sieht diese Aussagen nicht im Widerspruch
zu Gal.1,13f und Phil.3,5f. Dem dort beschriebenen Eifer (=Überidentifikation
mit der Norm und Aggression gegen Normabweichung) könnte durchaus
ein verdrängter Konflikt zugrundeliegen (Angst vor der eigenen Nichterfüllung
des Gesetzes), dessen Bewusstwerdung Röm.7,7ff beschreibt. Einen solchen
innerpsychischen Widerspruch findet Theißen auch in Röm.2,17.23
enthüllt. So kommt Theißen zu folgendem Ergebnis: "Der demonstrative
Gesetzesstolz des Pharisäers Paulus war Reaktionsbildung auf einen
unbewussten
Gesetzeskonflikt, in dem das Gesetz zum angstauslösenden Faktor
geworden war. Paulus konnte sich damals sein Leiden unter dem Gesetz nicht
eingestehen. Als aber durch die Begegnung mit Christus die Hülle von
seinem Herzen fiel, erkannte er die Schattenseiten seines Gesetzeseifers"
(Theißen, Psycholog. Aspekte paulin. Theologie, 244).
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Die Bekehrung hat in der Schilderung des Paulus zwei Wirkungen:
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Paulus wird zum Christ und damit endet seine Verfolgungstätigkeit.
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Paulus weiß sich zum Heidenmissionar und Apostel berufen.
Erstaunlicherweise werden sowohl bei Paulus, als auch in Act. beide Aspekte
immer aufs Engste miteinander verbunden (vgl. Gal.1,15; 1.Kor.9,1; 15,8;
Act.9,1-16; 22,5-16; 26,12-18): So ist zu sagen: Die Bekehrung war identisch
mit der Berufung zum Apostel. Diesen Zusammenhang versuchen Conzelmann/Lindemann
folgendermaen zu veranschaulichen: "Paulus verfolgte Judenchristen, die
sich vom Ritualgesetz gelöst hatten (...). Wenn ihm bei dieser Verfolgung
Christus selbst in den Weg trat (in welcher Form das geschah, bleibt offen),
so bedeutete das für ihn, dass Gott sich zum gekreuzigten Jesus bekannte;
und es bedeutete zugleich, dass die von den Christen praktizierte Freiheit
vom Gesetz durch Gott bestätigt wurde. Das Gesetz konnte damit nicht
mehr Heilsbedingung sein. Dann aber galt das Heil nicht nur den Juden,
sondern der ganzen Menschheit - und damit hatte Paulus seine Aufgabe" (438f).
| 4. Wirksamkeit als Apostel |
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Mission in "Arabien" (Gal.1,17) - gemeint ist das Nabatäerreich,
zu dem zeitweise auch Damaskus gehörte. Diese Missionstätigkeit
war wohl eher erfolglos (keine Erwähnung von Gemeinden; völliges
Schweigen der Act).
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Rückkehr n. Damaskus (Gal.1,17), dort Verfolgung (2.Kor.11,32f;
vgl. Act.9,23-25).
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Erst nach zwei Jahren zieht Paulus zum ersten Mal nach Jerusalem,
um Petrus kennenzulernen (Gal.1,18; vgl. Act.9,26-29). Dort begegnet er
auch Jakobus. Paulus tritt aber nicht in ein Abhängigkeistverhältnis
zu den Jerusalemer Autoritäten.
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Danach offenbar mehrjährige Missionstätigkeit in Syrien und
Kilikien, der Heimat des Paulus (Gal.1,21; vgl. Act.9,30).
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Barnabas holt ihn dann nach Antiochien (Act.11,26), wo sich
bereits eine Gemeinde gebildet hatte (Act.11,19ff), die Gesetz und Beschneidung
verwarf. Act.11,30 berichtet von einer Kollektenreise des Paulus
und des Barnabas nach Jerusalem, die sich aber mit der Darstellung in Gal.1f
nicht vereinbaren lässt.
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Paulus konnte nun, zunächst mit Barnabas und ausgesandt von
der Gemeinde in Antiochien, seine Mission fortsetzen in Zypern und im
südlichen Kleinasien (Act.13f - sog. 1.Missionsreise);
nicht erwähnt in Gal.1, aber auch nicht von dort her als sekundäre
Erfindung des Lukas abzutun. Nach Roloff kam Paulus und Barnabas die Erkenntnis,
dass die Glaubenden nicht an die Haltung des Gesetzes zu binden waren.
"Wahrscheinlich war die 1. sog. Missionsreise, die Paulus und Barnabas
als Gesandte der antiochenischen Gemeinde durchführten (Act.13,1ff;
14,26f), die unmittelbare Folge dieser theologischen Erkenntnis. Denn sie
brachte den ersten Vorstoß in rein heidnische Gebiete und führte
zur Entstehung von Gemeinden, in denen kein jüdischer Kern mehr vorhanden
war (Act.13,48ff; 14,27)" (Roloff, 52).
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Zurückgekehrt nach Antiochia zog Paulus (13/14 Jahre nach seiner Bekehrung
od. 13/14 Jahre nach Beginn seiner Wirksamkeit in Kilikien - Gal.2,1) zum
sog. Apostelkonzil nach Jerusalem, an
dem er und Barnabas als Abgesandte der antiochenischen Gemeinde teilnahmen.
Vorausgegangen war evt. ein Konflikt mit Judenchristen in Antiochia (Act.15,1ff).
Nach schweren Kämpfen mit den "Säulen" der Jerusalemer Gemeinde
(Petrus, Jakobus, Johannes) erreichten Paulus (und Barnabas) die Anerkennung
der Heidenmission unter Verzicht auf die Beschneidung und damit seines
Apostolats (Gal.2,1ff). Die Einheit beider Richtungen wurde gewahrt
(Kollekte für "Arme" in Jerusalem).
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Danach kam es anlässlich eines Besuches des Petrus in Antiochia zum
Konflikt mit Petrus über die Frage der Tischgemeinschaft zwischen
Juden- und Heidenchristen, der auch zu einem vorübergehenden Bruch
mit Barnabas (Er gehört später nicht mehr zu den unmittelbaren
Begleitern des Paulus) und Antiochien führte (sog. antiochenischer
Zwischenfall - Gal.2,11ff). Paulus verlässt Antiochien. Alle Briefe
entstehen erst in der Folgezeit.
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Die nächste Reise (sog. 2. Missionsreise) führt von Syrien/Kilikien
quer durch Kleinasien nach Mazedonien und Achaia. Es kam zur Entstehung
der Gemeinden in Galatien, Philippi, Thessalonich, Korinth u.a.
(Act.16-18). Die erstaunlich kurze Zeit für diese Tätigkeit unterstreicht,
dass Paulus es nicht für seinen Auftrag hielt, die Gemeinden nach
ihrer Gründung zu betreuen (höchstens Briefe und gelegentliche
Zwischenbesuche). Seiner Route ist schon zu entnehmen, dass er Rom und
das Reichsganze als Ziel ins Auge fasste. "Apostel der Völker" (Röm.1,5;
Gal.1,15; Röm.1,14). In Korinth, wo seine Predigt nach einem
Misserfolg in Athen Wurzeln schlug, bleibt er 1 1/2 Jahre (Act.18,11).
Dort schreibt er auch den 1. Thessalonicherbrief.
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Nach Palästina und Syrien zurückgekehrt, beginnt er auf dem Landweg
über Kleinasien (Galatien, Phrygien) eine neue große Missionsreise
(sog. 3. Missionsreise, doch ist diese in Act. kaum von der 2.Reise
geschieden) mit einem längerem Aufenthalt in Ephesus (Act.19,1+8-10)
und zieht dann über Mazedonien wieder nach Korinth, um von dort entlang
der kleinasiatischen Westküste nach Jerusalem aufzubrechen (Übergabe
der Kollekte). Er verliert sein Großziel Rom und Spanien aber
nicht aus den Augen (Röm.15,28ff).
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Die Wirksamkeit des Paulus auf diesen Reisen wird in Act. nur sehr lückenhaft
dargestellt:
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Seine Mitarbeiter erscheinen nur als Statisten, waren aber in Wirklichkeit
sehr eigenständig, wie die Paulusbriefe zeigen.
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Titus wird z.B. gar nicht erwähnt.
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Es wird nur von Mission und Gemeindegründungen in großen Zentren
berichtet. So werden z.B. Gemeindegründungen in Kolossä in Act.
nicht erwähnt.
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Von den inneren Krisen und Konflikten im Verhältnis zw. Paulus und
seinen Gemeinden berichtet Act. nichts.
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In Jerusalem kommt es zu schweren Auseinandersetzungen mit den Juden
und zur Verhaftung als Aufrührer durch die Römer (Act.21).
Durch seine Berufung auf das römische Bürgerrecht wird er der
unmittelbaren Gefahr entzogen. Es kommt zur Überführung zum Prokurator
Felix nach Cäsaräa (Act.21-28) - Nach zweijähriger Gefangenschaft
unter den Prokuratoren Felix und Festus kommt es aufgrund seiner Berufung
auf den Kaiser zur Deportation nach Rom (Act.27,1 - 28,31). Dort
scheint er noch eine Weile unter einer Art Hausarrest gestanden
zu haben. Act.20,25.38 setzt seinen gewaltsamen Tod in Rom voraus,
was in 1.Clem.5 und anderen Überlieferungen bestätigt wird.
Einzig absolutes Datum: Erwähnung des Statthalters Gallio
(Act.18,12), dessen Amtszeit in Achaia sich höchst wahrscheinlich
auf 51/52 (oder auch 50/51?) errechnen lässt (aufgrund einer gefundenen
Inschrift, die einen Brief des Kaisers Claudius an die Stadt Delphi wiedergibt).
Alle weiteren Zeitspannen sind relativ und lassen sich nur aus Act. und
Paulusbriefen erschließen:
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Nach Gal.1,18 und 2,1 zog Paulus drei Jahre nach seiner Bekehrung
nach Jerusalem und dann 14 Jahre später (nach der Bekehrung? nach
seiner Reise nach Kilikien? - letzteres liegt vom Text her näher)
zum Apostelkonvent. Da unsicher ist, ob die Zeitangaben nur volle Jahre
zählen oder auch bereits angefangene, gibt es demnach zwei Möglichkeiten
für die Zeitdifferenz zwischen Bekehrung und Apostelkonvent: 3 (bzw.2)
+ 14 (bzw.13) = 15 bis 18 Jahre oder 14 (bzw.13) Jahre. Der Apostelkonvent
war demnach 13 bis 18 Jahre nach der Bekehrung. Lohse geht von ca.
16 Jahren aus.
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Nach Act.15-18 findet der Apostelkonvent vor dem ersten Aufenthalt des
Paulus in Korinth statt, also ca.48 oder 49.
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In Korinth angekommen (2.Missionsreise) trifft Paulus dort Aquila und Priscilla,
die wegen des Claudius-Edikts erst kürzlich aus Rom vertrieben
worden waren (Act.18,1f). Der christliche Historiker Orosius (5.Jhdt) datiert
dieses Edikt auf das Jahr 49 (der römische Schriftsteller Dio Cassius
dagegen auf 41). Es ist also wahrscheinlich, dass Paulus um 49 nach Korinth
kam (Passt zur Gallio-Stelle).
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Nach Act.18,11 blieb Paulus eineinhalb Jahre in Korinth. Dabei kam
es zu jenem Zwischenfall vor Gallio, der den festen Bezugspunkt der Chronologie
darstellt. Wenn Gallio zwischen 50 und 52 Statthalter und Paulus eineinhalb
Jahre in Korinth war, so ergibt sich für die Korinth-Aufenthalt theoretisch
die extremen Möglichkeiten 48-50 bzw. 52-54. Da das Claudius-Edikt
aber bereits vorausgesetzt ist, doch noch nicht lange zurück liegt,
war Paulus wohl 49-51 bzw. 50-52 in Korinth.
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Auf seiner dritten Missionsreise legt Paulus in Ephesus einen längeren
Aufenthalt von ca. zweieinhalb Jahren ein (Act.19,8 10). Dies ist sein
zweiter Aufenthalt in Ephesus (vgl. Act.18,18f; 19,1). Die Zeit zwischen
der Abreise aus Korinth mit ihrem kurzen Zwischenstop in Ephesus und dem
zweiten Aufenthalt in Ephesus könnte ein, aber auch mehrere Jahre
betragen (Act.18,21-23).
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Die Gefangennahme in Jerusalem geschah nach Act.21-26 noch unter
dem Prokurator Antonius Felix (52-60), der dann von Festus (60-62) abgelöst
wurde. Eine Überführung nach Rom könnte demnach erst um
60 geschehen sein (datum der Amtsübergabe jedoch nicht ganz sicher).
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Paulus erlebte nach der Überlieferung 64, beim Brand Roms unter Nero
das Martyrium. Davon weiß Act. allerdings nichts. Jedoch kann
das Martyrium bereits früher geschehen sein, Nero regierte von 54-68.
Dies führt zu folgender Chronologie (vgl. auch die
Chronologie des Urchristentums):
| Geburt |
vermutl. um Jahrhundertwende |
| Kreuzigung Jesu |
30 oder 33 |
| Bekehrung und Berufung |
zwischen 32 und 35 |
| erster Besuch des Paulus in Jerusalem |
zwischen 34 und 38 |
| Apostelkonvent |
Frühjahr 48 oder 49 |
| Beginn der sog. 2. Missionsreise |
Sommer 48 bzw. 49 |
| Paulus in Korinth - anschließend: Beginn der 3. Missionsreise |
Winter 49/50 bzw.50/51 - Sommer 51 bzw.52 |
| Paulus in Ephesus |
ab 52 bis 54 für ca. 2 1/2 Jahre, also bis 55 oder gar 57 |
| Letzter Aufenthalt in Mazedonien und Achaia |
Winter 55/56 oder erst 57/58 |
| Jerusalemreise und Gefangennahme |
Frühjahr 56 bzw. 58 |
| Überführung nach Rom |
58 oder 60 |
| Gefangenschaft in Rom |
58-60 bzw. 60-62 |
| Märtyrertod unter Nero |
vermutl. zwischen 60 und 64 |
Gegenüber dieser Chronologie, die mit Abweichungen von ein bis
zwei Jahren allgemein akzeptiert ist, gibt es noch eine grundsätzlich
andere, die das Apostelkonzil auf 43/44 vordatiert (F.Hahn), da
dieses vor der Christenverfolgung unter Herodes Agrippa (gest. 44) stattgefunden
haben müsse, weil in ihr die beiden Zebedaiden Johannes und Jakobus,
mit denen Paulus und Barnabas noch in Jerusalem verhandelt haben (Gal.2,9)
den Märtyrertod erlitten hätten. Dagegen lässt sich aber
einwenden:
-
Gal.2,9 ist nicht der Zebedaide, sondern der Herrenbruder Jakobus gemeint
(vgl. Gal.1,18), der nach dem Tode des Zebedaiden (Act.12,2) in das Leitungsgremium
der Jerusalemer Gemeinde eintrat.
Der Tod des Zebedaiden Johannes ist nach Mk.10,38 nicht zwingend auf
die Verfolgung unter Agrippa zu datieren.
| 6. Punkte, die Wirksamkeit des Paulus
kennzeichnen |
|
-
Auf seinen Reisen gab es Auseinandersetzungen m. Gegnern verschiedener
Art, deren Identifizierung z.T. allerdings umstritten ist:
-
Judaisten in Galatien (Forderung der Übernahme von Gesetz und Beschneidung
durch Heidenchristen).
-
heidenchristliche Gnostiker (?? - 1.Kor)
-
hellenistische Wanderlehrer jüdischer Herkunft (?? - 2.Kor) in Korinth.
-
Paulus wurde öfters verhaftet und verfolgt (Act.16f; 1.Th.2,2;
1.Kor.4,9f; 2.Kor.1,4f; 4,8f; 6,4f; 11,24f; Phil.1,12ff; Phlm.13).
-
Er vollbrachte wohl eine kraftvolle Verkündigung, denn es kam
häufig relativ schnell zur Gründungen von Gemeinden. Anderer
seits war es wohl kaum seine Wortgewalt, mit der er wirkte: "Sein persönliches
Auftreten ist matt, und seine Worte sind armselig" (2.Kor.10,10; 11,6).
- Nach Act. vollzog sich die Verkündigungstätigkeit des Paulus
in einer fremden Stadt nach einem festen Schema:
-
er wendet sich zunächst an die Synagoge und predigt dort.
-
nach der Ablehnung bei den Juden wendet sich Paulus an die Heiden.
-
Dahinter steht einerseits das theolog. Programm des Lk.: "Das Heil wird
den Heiden verkündigt, weil die Juden es nicht angenommen haben (vgl.
Act.13,46; 28,26-28)" (Conzelm./Lindem., 446). Doch dürfte auch richtig
sein, dass die glaubenden Hörer des Paulus v.a. im Kreis der Gottesfürchtigen
(Sympathisanten des Judentums) und Proselyten zu finden waren. Die Missionsmethode
des Paulus bestand wohl darin, in den regionalen Zentren zu
wirken, dort so lange zu bleiben, bis es selbständige Gemeinden gaben,
die das Hinterland missionarisch durchdringen konnten (vgl. 1.Kor.16,19;
2.Kor.1,1; 1.Th.1,8). Nur so konnte er sagen, er habe im östl. Teil
des röm. Reiches "kein Arbeitsfeld mehr" (Röm.15,23).
-
Fähigkeit, Mitarbeiter zu gewinnen
-
Väterliche Fürsorge für seine Gemeinden; dennoch
blieb er kaum nie längere Zeit, sondern entließ die jungen Gemeinden
relativ schnell in Eigenverantwortung. Daher ist auch zu erklären,
da die Paulusbriefe schon früh von den Gemeinden abgeschrieben, ausgetauscht,
gesammelt, verlesen und nachgeahmt wurden.
-
Arbeit als Kranker und unter verschiedenen Mühsalen (2.Kor.12,7ff).
Medizinische Deutungen seiner Krankheit bleiben Spekulation. Gennat werden:
-
schwere Depression (doch scheint es sich eher um ein körperliches
Gebrechen zu handeln, das ihn zu Boden wirft)
-
ein Augenleiden (vgl. Gal.4,14f)?
-
Epilepsie
-
chronische Kopfschmerzen mit periodischen Anfällen
-
Er hatte neben seiner Berufungsvision noch weitere visionäre Erlebnisse
(2.Kor.12,1ff; Gal.2,2). "Paulus lehnt es jedoch ab, solche Erlebnisse
zum Thema seiner Verkündigung zu machen oder ihnen eine besondere
Beweiskraft für die Richtigkeit seiner Lehre zuzusprechen (vgl. 2.Kor.12,1+11)"
(Conzelm./Lindem., 437f). Ferner besitzt Paulus auch die Gabe, Wunder
zu tun (2.Kor. 12,12), er verfügt über die Gabe des Zungenredens
(1.Kor.14,18).
-
Er war weder der erste, noch einzige Missionar unter den Heiden. Er kennt
andere Missionare (Röm.16,7; 1.Kor.9,5; 2.Kor.8,23), missioniert dort
nicht, wo das Evangelium bereits verkündigt ist (Röm.15,20; 2.Kor.10,15),
und kämpft gegen verschiedene rivalisierende Missionare (s.o.).
-
Er tritt mit apostolischen Selbstverständnis auf, frei gegenüber
den Jerusalemer Autoritäten (Gal.1), unterworfen unter die ihm von
Gott verhängte "Notwendigkeit" (1 Kor.9,16), aber auch in der Übernahme
der gerade seinen Apostolat begründenden "Schwachheit" (2.Kor.11f).
-
Er ließ es nicht zum Bruch mit der Urgemeinde kommen (Kollekte)
und stimmte mit ihr im Verständnis der Kirche als dem eschatologischen
Gottesvolk überein (Aufnahme des AT und des jüdischen Erbes).
-
Er verarbeitete jüdische und urchristliche Traditionen, sowie
Sprach- und Denkformen seiner heidnischen Umwelt im Dienste des Evangeliums.
Er war unverheiratet und finanzierte seine Tätigkeit weitgehend
durch eigene Arbeit (1.Th.2,9; 1.Kor.4,17; 9,1ff; Act.18,3). Nur
vereinzelt ließ er sich von Gemeinden finanziell unterstützen
(Phil.3,10ff; 2.Kor.11,7ff).
Literatur: G.Bornkamm, Art. Paulus, RGG 3, 166-175; ders., Paulus; Conzelmann/Lindemann,
Arbeitsbuch zum NT, S.416-418, 436-440; Zur Chronologie: Roloff,
NT, S.48-50; Ed.Lohse, Paulus,
S.49-86.
Copyright: Matthias Kreplin, 2000
