Das Apostelkonzil
 
 
1. Anlass und Verlauf
2. Das Aposteldekret (Act.15,23-29)
3. Nachgeschichte

Primärquelle: Gal.2,1-10; Sekundärquelle: Act.15,1-29



 
1. Anlass und Verlauf

Durch die Heidenmission entstand die grundsätzliche Frage, ob Heiden die Forderungen des jüdischen Gesetzes als heilsnotwendig anerkennen und erfüllen müssen (konkret: Beschneidung, Reinheitsgebote)? Für die Notwendigkeit der Anerkennung des Gesetzes durch die Heiden konnte auf den heilsgeschichtlichen Zusammenhang der Kirche mit Israel und auf die Gültigkeit des ATs für die Christen verwiesen werden (Act.15,1). Außerdem hätte die Gemeinschaft der Judenchristen mit absolut gesetzesfreien heidenchristen die Judenchristen aus dem Judentum herausgelöst. Für Paulus allerdings hing die Freiheit vom Gesetz mit seinem Heilsverständnis zusammen. Gott schenkt das Heil bedingungslos; sonst wäre Christus umsonst gestorben (Gal.2,21). "Theologisch ging es um die Frage, ob und in welchem Sinn die Kirche, wenn sie Heiden hereinnahm, ihre Kontinuität zu Israel, dem Heilsvolk, noch würde aufrechterhalten können. War diese Kontinuität nicht zumindest an jene Institution gebunden, die Israels Identität in der Geschichte bisher garantiert hatte, nämlich das Gesetz? (...) Soziologisch gesehen ging es darum, ob die Kirche, um ihre Identität zu wahren, alles daran setzen mute, auch weiterhin eine Sondergruppe innerhalb des jüdischen Kult- und Synagogenverbandes zu bleiben, oder ob sie die Freiheit hatte, sich durch Entwicklung eigenständiger Lebensformen als eine neue gesellschaftliche Gruppe darzustellen" (Roloff, 50). Vgl. dazu auch "Die Entstehung des hellenistischen Christentums"
Aufgrund des Protestes der "falschen Brüder" (Gal.2,4) gegen die Gesetzesfreiheit der antiochenischen Heidenchristen (vgl. Act. 15,1) geht Paulus mit Barnabas und Titus (einem Heidenchrist) nach Jerusalem; Gal.2,2 auf Grund einer Offenbarung, was seine Selbständigkeit betont (Act.15,2f bezeichnet ihn als Beauftragten der antiochenischen Gemeinde). Er nimmt den unbeschnittenen Heidenchristen Titus mit, damit in Jerusalem dessen Glaube anerkannt werde (in Act. nicht erwähnt). Gegen die Agitation "der falschen Brüder" kommt es zur Einigung mit den drei "Säulen" (Jakobus, Petrus, Johannes). Die Missionsarbeit und das Apostolat des Paulus werden anerkannt (Gal.2,9). Die Gesetzesobservanz wird den Heidenchristen nicht auferlegt (Gal.2,3). Damit gibt es freie Bahn für die Heidenmission und Weg des Evangeliums zu allen Völkern. Damit war "die Identität des paulinischen Evangeliums mit dem einen Evangelium, das auch sie [die Judenchristen] vertraten, festgestellt und zugleich das Kirche-Sein der gesetzesfreien Heidenchristen prinzipiell zugestanden" (Roloff, 53). Ferner wurde eine Aufteilung der Aufgaben vereinbart (Gal.2,9b; s.u.). Mit feierlichem Handschlag wurde koinwn…a vereinbart (Gal.2,9a). Diese sollte durch eine Kollekte (Gal.2,10) bestätigt werden. Dennoch bleiben Fragen und Differenzen in der Darstellung:

Das Apostelkonzil fand wohl im Jahr 48 (od.49) n.Chr. statt. Zur Datierung vgl. die Chronologie innerhalb der "Biographie des Paulus".
 
 
2. Das Aposteldekret (Act.15,23-29)

Hauptproblem des Acta-Berichtes, denn gemäß Paulus kann dieses Dekret nicht auf dem Konzil erlassen worden sein, da nach Gal.2,6 jede Verpflichtung für Heiden ausgeschlossen wurde. Es ist in zwei abweichenden (Text)Fassungen überliefert:

Das Dekret entstand wahrscheinlich in einem "gemischten" Raum, wo das Zusammenleben von Juden und Heiden in der christlichen Gemeinde durch die Beschlüsse des Konzils eben nicht gelöst worden war. Dort entstand die Frage: "Dürfen Judenchristen in gemischten Gemeinden das Gesetz aufgeben und mit den Heidenchristen gesetzesfrei leben?" Es kann geradezu sein, dass das Zusammenleben durch den Jerusalemer Beschluss erst zum Problem wurde, da nun die Juden wieder auf das strenge Einhalten des Gesetzes verpflichtet werden konnten. Erst dadurch gerieten sie in Konflikt mit den Heiden, wie er im sog. antiochenischen Zwischenfall aufbricht (vgl. Gal.2,11-14). Diese Episode führte wohl zum Bruch des Paulus mit Barnabas und Antiochia (Keine Partnerschaft, noch große Erwähnungen mehr), denn Paulus "sah darin einen Bruch der Vereinbarung (Gal.2,15), doch scheint er damit, wie sich indirekt aus dem Fortgang der Ereignisse ergibt, in Antiochia ziemlich allein gestanden zu haben" (Roloff, 55). Seine Trennung von Antiochia führte auch dazu, da in den paulinischen Gemeinden das Aposteldekret nicht bekannt war und eingeführt wurde. Paulus lässt es aber nicht zu einem völligen Bruch mit den Führern der Urgemeinde kommen. Weiterhin sammelt er die Kollekte für die Jerusalemer Gemeinde.
Evt. wurde das Aposteldekret nach dem antiochenischen Zwischenfall als Kompromisslösung zur Regelung des weiteren Zusammenlebens von Juden- und Heidenchristen direkt für Antiochia erlassen (vgl. die Adressaten Acta 15,23).
 
 
3. Nachgeschichte

"Erst vom Apostelkonzil ab gewann die Missionstätigkeit des Paulus ihre weltweite Ausrichtung und ihre rastlose Dynamik" (Roloff, 56). Vorher "nur" Syrien und Kilikien während 15 Jahren, nun Ausdehnung seiner Wirksamkeit in den restlichen 7 Jahren auf den ganzen östlichen Mittelmeerraum. Er kehrte anfänglich Hoffnung der Jerusalemer Urgemeinde (erst bei Anbruch der Heilszeit Hinwendung der Völker zum Gott Israels) um: Erst wenn Heiden zum Heil gefunden haben, wird Israel im Anbruch der Heilszeit auch zum Glauben finden (Röm.11,13-16.25-32).
Durch den Beschluss wurde ferner Festgehalten an der Einheit der Kirche aus Juden und Heiden; auch wenn die judenchristliche Gemeinde bald keine Rolle mehr spielte. "Die Heidenchristen blieben infolge dieser Entscheidung gebunden an die von Jerusalem herkommende Tradition, an die vergangene Geschichte Gottes mit Israel und an das Alte Testament. Das bedeutete eine wirksame Gegenkraft, die die Christusbotschaft aus dem alle religiösen Erscheinungen in sich hineinziehenden Strudel des hellenistischen Synkretismus heraushielt. Die Judenchristen aber waren - wenigstens zunächst vor einem Verkümmern als jüdische Sekte bewahrt" (Roloff, 55).
Die spannungsreiche Situation der Jerusalemer Urgemeinde (s.u.) führte wohl auch zu Schwierigkeiten mit Paulus, der sich für Einheit der Kirche einsetzte (Kollekte 2.Kor.8-9; Bedeutung der Urgemeinde 1.Kor.14,36; Röm.15,27), aber auch immer wieder mit "falschen Brüdern" kämpfen musste (Gal.; 2.Kor.11,26; Phil.3,2ff). Es bestand eben wohl auch judenchristliche Agitation gegen Paulus (Anzweiflung des paulin. Apostolats; Unvollständigkeit des gesetzesfreien Evangeliums), die zwar vielleicht nicht von Jakobus, doch aber wohl von maßgeblichen Jerusalemern beeinflusst war. Das für das Selbstverständnis der Urgemeinde wichtige Verhältnis zum Judentum wurde durch deren Verbindung mit den Heidenchristen immer stärker belastet, zumal in den Jahren der wachsenden jüdischen Bewegung zwischen 40 und 70, wo eine Verbindung mit dem Volkskörper fremden Elementen nicht sehr günstig war. In dieser schwierigen Zeit wurde Paulus bei seiner Kollektenüberbringung nach Jerusalem (um 56) des Bruchs der Konzilsvereinbarungen bezichtigt (Er lehre den Juden unter den Heiden den Abfall von Mose; Act.21,21). Jakobus war wohl um Ausgleich bemüht (21,15-26). Er überredete Paulus zu einer Demonstration seiner Gesetzestreue, und Paulus war wohl auch bereit, dieses Opfer auf sich zu nehmen (Act.21,23ff). Dennoch wurde er auf Betreiben kleinasiatischer Juden (nicht Judenchristen!) der Tempelschändung bezichtigt und von den Römern verhaftet (21,27-40). Aus dieser Gefangenschaft kam er wohl nicht mehr frei. Conzelmann hält es für möglich, dass eine extrem judenchristliche Gruppe in der römischen Gemeinde die negative Wendung seiner Gefangenschaft beeinflusst hat (vgl. 1.Clem.5).
Jakobus erlitt ungefähr zur selben Zeit, also um 62, ebenfalls das Martyrium. Hohepriester Hannas beschuldigte ihn infolge seines Christusbekenntnisses der unjüdischen Propaganda und ließ ihn steinigen. Somit war auch deutlich, dass das Judenchristentum keine Sonderrichtung des Judentums bleiben konnte. Roloff schließt, dass die Wege des Paulus und des Jakobus mehr oder weniger von den Folgen des Apostelkonzils bestimmt waren. Ferner stellt er fest: "Das Apostelkonzil war somit ein geschichtlicher Wendepunkt. In ihm liefen alle Linien der vorhergegangenen fast 20jährigen Geschichte des jungen Christentums zusammen, und zugleich erfolgte von ihm aus die entscheidende Weichenstellung für den weiteren Fortgang der Ereignisse" (Roloff, 47).
 


Literatur: Conzelmann/Lindemann, AB, S.440-445; J.Roloff, NT, S.47-62; Ed.Lohse, Paulus, S.84-96
 



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