Die paulinische Eschatologie
 
 
 
Die Eschatologie ist bei Paulus nicht einfach nur der Artikel über
die letzten Dinge, sondern Grundzug seiner Theologie. Explizite
längere Ausführungen finden sich
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1.Th.4,13-5,3 (Problem: Was geschieht mit bereits Verstorbenen)
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1.Kor.15 (Gegen die Leugnung der Totenauferstehung).
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2.Kor.5,1-10 (Der neue zukünftige Leib)
| 2. Der theologische Ort der Eschatologie |  | 
Paulus teilt die Naherwartung des Urchristentums. In 1.Th. und
1.Kor. rechnet Paulus noch mit der Parusie zu seinen Lebzeiten. Doch in
2.Kor. verändert sich seine Position: 2.Kor.1,3-11 berichtet er von
großer Bedrängnis und Todesgefahr, in der er die
paq»mata Cristoà erfahren habe. In äußerster
Bedrohung, schon am Leben verzweifelnd habe er aber sein Vertrauen nicht
auf sich gesetzt, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt. Fortan wohl
hat Paulus es für möglich gehalten, dass er vor der Parusie
sterben könnte (2.Kor.5,1-10; Phil.1,23). Dennoch hat er an der Naherwartung
festgehalten (Phil.4,5: Ð kÚrioj ™ggÚj;
Röm.13,11-14 der Tag aber ist genaht).
Dabei liegt die Betonung nicht auf der Frage des Termins, sondern
auf der eschatologischen Bestimmtheit der Gegenwart. Paulus begreift
die Eschatologie von der Christologie her und weniger in apokalyptischer
Tradition als Lehre von den letzten Dingen: Paulus kann zwar seine Naherwartung
mit Hilfe apokalyptischer Vorstellungen beschreiben:
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1.Th.4,13-18: "Denn der Herr selbst wird unter einem Befehlsruf, unter
der Stimme eines Erzengels und unter dem Schall der Posaune Gottes vom
Himmel herabkommen, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen;
dann werden wir, die Lebenden, die noch übrig sind, zugleich mit ihnen
auf den Wolken in die Luft entrückt, dem Herrn entgegen" (4,16f).
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1.Kor.15,51f enthüllt Paulus ein must»rion
(vgl. Röm.11,25): "Die Posaune wird erschallen, die Toten werden
zur Unvergänglichkeit auferweckt, wir aber werden verwandelt werden".
Paulus macht jedoch recht sparsam von apokalyptischer Tradition Gebrauch;
apokalyptische Vorstellungen werden angedeutet, um die eschatologische
Hoffnung mit knappen Worten zu kennzeichnen. So genügt es Paulus zu
wissen, dass einst die Seinen beim Kyrios sein werden, der dann als Herr
vor aller Augen erscheinen wird. Es fehlt bei Paulus deshalb der rückwärts
gewandte Blick auf den Ablauf der Geschichte der Weltreiche und der analoge
Blick in die Zukunft. Jede Spekulation über kosmische Katastrophen,
das Ende dieses Äons und das Heraufkommen der neuen Welt unterbleibt.Gegen die Korinther, die die Auferstehung der Toten bestreiten, setzt
Paulus beim Kerygma von Tod und Auferstehung Christi ein (und nicht
bei apokalyptischen Erwartungen!): Weil Christus aus dem Tod auferweckt
wurde, werden auch die, die zu ihm gehören, auferstehen (1.Kor.6,14;
1.Kor.15,20-28: weil Christus als der Erstling vom Tode auferstanden ist,
werden die, die in Christus sind, bei seiner Parusie mit ihm vereinigt
werden). Es erfolgt also ein Entwurf der Eschatologie von der Christologie
her.
Ein weiteres Element seiner Eschatologie, die endgültige Heimholung
Israels (Röm.11,25ff) ist in seiner Gotteslehre verankert (Treue Gottes).
Vgl. hierzu Die paulinische Ekklesiologie.
 
 
| 3. Die Erwartung der Totenauferstehung |  | 
Zentrales Element der pauliischen. Zukunftserwartung ist die Totenauferstehung
(1.Kor,15;35ff; 2.Kor.5,1-10). Hierbei ist zentral:
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Auferstehung findet bei der Parusie statt (1.Kor.15,52).
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Fleisch und Blut (= der natürliche Mensch) kann nicht in die Gottesherrschaft
gelangen. Es braucht eine Umgestaltung des Menschen (ob lebend oder
bereits gestorben bei der Parusie). Das sîma yucikÒn
muss in ein sîma pneumatikÒn umgewandelt
werden (1.Kor.15,44ff; Phil.3,20). Das Sterbliche wird die Unsterblich
keit anziehen. Das Sterbliche wird vom Unsterblichen überkleidet
(2.Kor.5,2-4; 1.Kor.15,54). So findet eine Wesensverwandlung des
Menschen statt, bei der aber seine Individualität erhalten bleibt.
Paulus unterscheidet sich damit von verschiedenen anderen eschatologischen
Erwartungen:
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Die apokalyptischen Traditionen erwartet die ¢n£stasij
tîn nekrîn als eine Wiederbelebung und Umformung
des Individuums (bzw. der Gerechten) in einen engelgleichen Zustand. Dagegen
betont Paulus die grundsätzliche Verwandlung in eine neue Seinsform.
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Die gnostisch dualistische Vorstellung erwartet die postmortale Naktheit,
die Befreiung des Menschen von s£rx und
sîma, so dass lediglich der nakte Pneuma-Kern übrig bleibt.
Diese Vorstellung wird von Paulus abgelehnt (2.Kor.5,3). Auch die Auferstandenen
werden ein sîma haben, allerdings ein völlig
neues.
| 4. Das zukünftige Gericht nach
den Werken |  | 
Wie verhält sich die Lehre von der Rechtfertigung des Sünders,
der allein um Christi willen von Gottes Barmherzigkeit angenommen wird
und der Gedanke vom zukünftigen Gericht nach den Werken zueinander
(2.Kor.5,10; Röm.2,13; 14,10)?
Die Erwartung des zukünftigen Gerichts nach den Werken ist bei
Paulus mehr als einfach nur ein traditionell mitgeschlepptes Theologumenon,
das unverbunden mit der Soteriologie stünde. Denn in Röm.1,18-3,20
wird die Rede vom Gericht an zentraler Stelle der Ausführungen eingesetzt.
Die paulinische Gerichtserwartung lässt sich so umreißen.
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Paulus erwartet das kommende Gericht und hat die Hoffnung, dass Christus
als der Retter sehr Seinen vom Zorn Gottes im Gericht erscheinen
wird ('Ihsoàj Ð ·uÒmenoj ¹maj
™k tÁj Ñrg»j tÁj ™rcomšnhj - 1.Th.1,9f).
Unsicher ist, ob Paulus erwartet, dass Christus für die Seinen im
Gericht eintritt (·àsqai = erretten),
oder ob er die Seinen überhaupt vor dem Gericht bewahrt (·àsqai
= schützen, bewahren), so dass sie gar nicht in das Gericht
kommen. Wahrscheinlich denkt Paulus eher an das letztere, denn in seinen
apokalyptischen Aussagen spricht er von der Entrückung (1.Th.4,17)
der Glaubenden. Unabhängig aber ist klar, dass Christus uns vor der
Ñrg» Gottes bewahrt und uns zur
swthr…a führt (1.Th.5,9). Dies ist möglich, da er für
uns gestorben ist und wir mit ihm verbunden sind (1.Th.5,10).
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Die Christen sind frei von der vernichtenden Ñrg»
Gottes (1.Th.5,9), auch wenn sie vom Herrn zurechtgewiesen werden (1.Kor.11,31f;
3,15: "wie durch Feuer hindurch"). Das Gericht ist also ein Offenbarmachen
des Menschen vor Gott: Die Sünden der Menschen werden vor Gott
offenbar. Ihre Anstrengungen werden auch belohnt (Phil.4,17; 2.Kor.5,10;
9,6; 1.Kor.3,5ff; 4,4ff). In diesem Sinne spricht Paulus davon, dass die
Christen vor den Richterstuhl Gottes kommen (Röm.14,10; 2.Kor.5,10).
Die Glaubenden haben also nicht mehr die Ñrg»
Gottes zu fürchten, wohl aber werden sie zur Rechenschaft gezogen.
Doch können die Christen auch an die Ñrg»
Gottes verfallen, wenn sie aus der Verbindung mit Christus herausfallen
(Phil.3,18f).
Auf diesem Hintergrund kann das Gerichtsmotiv von Paulus auch in Ermahnungen
eingesetzt werden:
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Da Ungerechte und Gottlose die zukünftige Gottesherrschaft nicht erben
werden (1.Kor.6,9f), haben die Christen ihr Leben im Zeichen der kommenden
und noch ausstehenden Vollendung zu führen.
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Damit der kommende Tag des Herrn die Glaubenden nicht wie ein Dieb überfällt,
sollen sie wachen und nüchtern sein (1.Th.5,4; Vgl. Röm.13,12:
"Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe").
Die Frage besteht allerdings, wie auf diesem Hintergrund Röm.2,12-16
zu verstehen ist, wo Paulus vom Gericht nach den Werken spricht, indem
Menschen entweder Gottes dikaiosÚnh oder
seine Ñrg» empfangen. Folgende Alternativen
bieten sich an:
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Paulus bezieht dieses Gericht nicht auf die Christen, sondern nur auf die
Nicht-Glaubenden. Problem: Diese Einschränkung ist dem Text nicht
zu entnehmen. Geht es Paulus doch gerade um die Allgemeingültigkeit
seiner Aussagen (vgl. das häufige p£ntej
in Röm.1,18-3,20).
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Nach Röm.1,18-3,20 macht Gottes Zorngericht über Juden und Heiden
macht die Schuldverfallenheit aller Menschen offenbar. Den ihm vorgegebenen
Gerichtsgedanken radikalisiert Paulus zu der Aussage, dass aus Werken des
Gesetzes kein Fleisch vor Gott gerecht wird (Röm.3,20) und verbindet
die Aussage mit der Theologie der Rechtfertigung allein aus Glauben (3,21).
Die Rechtfertigung des Menschen wird allein durch Gottes Barmherzigkeit
gewirkt. Gottes Barmherzigkeit hat an die Stelle der Gerechtigkeit
˜k nÒmou (die der Mensch selbst aufzurichten sucht) t»n
™k qeoà dikaiosÚnhn ™pˆ tÍ p…stei gesetzt,
die nur im Glauben an Jesus Christus empfangen wird (Phil. 3,9). Rechtfertigung
geht hier also am Gericht vorbei; das Gericht kennt nur die Bestrafung
durch Gottes Ñrg». Die Rede vom
Gericht nach den Werken wäre damit nur eine negative Folie für
die Verkündigung der Rechtfertigung auf Grund des Glaubens. Eine wirkliche
Verbindung beider Gedanken liegt nicht vor.
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Eine Verbindung von Gerichts- und Rechtfertigungsgedanken wäre möglich,
wenn der in der Liebe tätige Glaube als das (vom Gesetz) geforderte
Werk verstanden würde. Dann wäre Rechtfertigung auf Grund
des Glaubens und Rechtfertigung aufgrund der Werke nicht mehr grundsätzlich
miteinander im Widerspruch. Die Rechtfertigung im Gericht und die Rechtfertigung
aus Glauben wären dann nicht zwei verschiedene Dinge. Das im Gericht
Geforderte wäre die im Glauben vollzogene Verbindung mit Jesus Christus,
die allein vor dem Zorn Gottes retten kann. Diese Verbindung lässt
sich zwar aus paulinischen Aussagen erschließen (vgl. Der
Glaube (p…stij) bei Paulus), wird aber von
ihm selbst nicht gezogen.
| 5. Die Dialektik von "schon jetzt"
und "noch nicht" |  | 
Paulus sieht die ganze Existenz der Christen im Zeichen des Eschaton,
d.h. in der Spannung zw. der bereits geschehenen Versöhnung mit
Gott und der noch ausstehenden endgültigen Erlösung von der Macht
der Sünde, die allerdings grundsätzlich schon gebrochen ist.
Paulus kann deshalb von gegenwärtig bereits erfahrbaren eschatologischen
Heilsgütern sprechen:
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Die Christen haben die Erstlingsgabe (¢parc»)
des Geistes (Röm.8,23), sie sind versiegelt und haben den Geist als
Anzahlung (¢rrabèn) auf das Heil
in ihren Herzen (2.Kor.1,22; 5,5).
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Die Christen sind mit Christus mitgekreuzigt und der Sünde gestorben
(Röm.6,6f).
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Christen sind bereits jetzt mit Gott versöhnt (Röm.5,9f).
Aber es gibt für Paulus auch noch eine zukünftige Dimension.
Deshalb stellt er sich gegen korinthische Schwärmer, die die Erfüllung
bereits als gekommen wähnen. Zukünftig erwartet er noch:
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Die Christen sind zwar schon mit Christus gestorben, die Auferstehung liegt
aber noch vor ihnen (Röm.6,4).
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1.Kor.13,12: "Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte
Umrisse; dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne
ich nur unvollkommen; dann aber werde ich durch und durch erkennen."
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Die Rettung von der Ñrg» Gottes
im Endgericht steht noch aus (Röm.5,9f).
Als Grundschema lässt sich festhalten, dass das eschatologische Heil
bereits offenbart ist, aber es ist jetzt nur sichtbar in der Gestalt
des Kreuzes, d.h. in Niedrigkeit und Schwachheit. "Das 'Zusammenwachsen'
mit dem Bild des Todes Jesu ist schon gegeben, was jedoch noch aussteht,
ist das 'Zusammenwachsen' mit seiner Auferstehung (Röm.6,5" (Roloff,
145).
 
Literatur: Ed.Lohse, Grundriß der
neutestamentlichen Theologie, S.109-111.
Copyright: Matthias Kreplin, 2000

