Die johanneische
Christologie
| 1. Die Einheit des Sohnes mit dem Vater |
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Die johanneische Christologie behauptet die Einheit
zwischen Jesus als dem von Gott gesandten Gottessohn und Gott,
dem Vater Jesu Christi. Dies äußert sich auf
verschiedene Weise:
Der Gebrauch der Hoheitstitel
kennt zwar eine urchristliche Vielfalt, doch sagen alle
Titel dasselbe: Jesus ist der Gottessohn. Bereits im 1.Kap
begegnen fast alle Hoheitstitel, Jesus ist demnach:
-
der präexistente und Fleisch gewordene Logos - 1,1+14.
- der monogen»j
(Einziggeborene) - 1,14+18; 3,16+18 (ursprüngl. bedeutet
monogen»j das "einzige Kind";
vgl. Lk.7,12; 8,42; 9,38; Hbr.11,17).
- Christus/Messias - 1,41; 3,28; 4,25+29; 7,26-42; 20,31;
u.a.m.; ausdrücklich miteinander identifiziert: 1,41.
- der Sohn Gottes - 1,34+49; 3,18; 5,25; u.v.a.m. Oft
auch einfach nur Sohn des Vaters (1,18; 5,20-26; u.a.) oder gar
nur Sohn (3,16f; 3,36; 8,35f).
- Kyrios - sehr viele Stellen, jedoch erst im Zshg. mit den
Ostergeschichten (20,2+13+15+25+28) voll entfaltet.
- der (!) Prophet - 4,19+44; 6,14; 7,40; 9,17.
- das Lamm Gottes - 1,29+36.
- der Retter des Kosmos - 4,42.
- der Heilige Gottes - 6,69.
- Rabbi/Lehrer - 1,38+49; 3,2; 4,31; 6,25; 9,2; 11,8+28;
13,13f; 20,16 (jedoch auch für Nikodemus und Johannes d.
Täufer gebraucht 3,10+26).
- umstritten ist, ob "der Menschensohn" als Hoheitstitel
synonym mit Gottessohn oder als Name für Jesus gebraucht
wird - 1,51; 3,13f; 5,27; 6,27+53;+62; 8,28; 9,35;
12,23+34; 13,31. Der Ausdruck findet sich (wie bei den
Synoptikern) nur in Jesus-Worten.
Im Mittelpunkt der
johann. Christologie steht die immer wiederkehrende Aussage,
dass der Vater den Sohn gesandt hat. Deshalb wird auch von einer
Gesandten-Christologie gesprochen. Jesus ist durch seine
Sendung Repräsentant des Vaters (4,34; 5,17+19ff+30+36;
6,29+38; 7,28; 8,28+42; 10,25+30+36f; 13,3; 14,10; 17,4+14).
Bleibend ist die Einheit zw. Vater und Sohn (10,30;
u.a.). Daneben findet sich die Logos-Christologie mit
ihrer Inkarnationsaussage nur im Prolog (1,1+14), dem
wohl ein urchristlicher Hymnus zugrundeliegt. Schon das sollte
nicht dazu führen, die Logos-Christologie zum Ausgangspunkt
der johann. Christologie zu machen (so Becker, anders Thyen),
sondern diese und der ganze Prolog sind von der
Gesandten-Christologie her zu interpretieren. Dabei gibt es
unverkennbare Anklänge an Gen.1 und an die jüdische
Weisheitsspekulation (Prov.8; u.a.), allerdings wird hier nicht
von der Weisheit, sondern eben vom Logos gesprochen. Inwiefern
gnostischer Einfluß wirksam war, wo vom Logos als
göttlichem Offenbarer als einem Zwischenwesen zw. Gott und
Welt gesprochen wird, ist umstritten. Die Identifikation des
Logos mit Gott selbst wird am Ende des Evang. (20,28) wieder
aufgenommen.
Jesu Hoheit äußert sich
desweiteren in folgenden Motiven:
- Er wird
desöfteren als Souverän seines Geschicks
(Wengst) dargestellt, gerade und besonders auch in der Passion.
So wird Jesus z.B. geradezu zum "Regisseur seines eigenen
Verrats" (13,21-30). Damit wird das Geschick Jesu als
notwendiges und von Gott selbst so gewolltes Geschehen
verstanden.
- Jesus besitzt überlegenes Wissen (1,47f;
4,17f; 6,6+61; 13,1; 18,4).
- In seinen machtvollen Wundertaten, die im Joh.
gegenüber den Synoptikern noch gesteigert erscheinen.
Der Gottessohn ist in Jesus von Nazareth wirklicher
Mensch geworden (1,14). "Wie das Wunder der Menschwerdung
geschah, ist nicht Gegenstand der Überlegung. Jesus wird
nicht Sohn einer Jungfrau, sondern der Sohn Josephs aus Nazareth
genannt (1,45), dessen Mutter und Brüder man kennt (2,3;
7,10; u.a.)" (Lohse, 130). Die Behauptung, dieser Mensch Jesus
sei der Gottessohn, erregt Anstoß (5,18; u.a.) und
Widerspruch. Entscheidend ist die Exklusivität der
Offenbarung Jesu. Vor ihm gab es keine wirkliche
Gotteserkenntnis (1,18; 5,37f). Nur durch ihn gibt es den Weg
zum Vater und die Möglichkeit der Gemeinschaft mit ihm
(14,6). Dieser Ausschließlichkeitsanspruch führt auch
dazu, dass es neben und nach Jesu keine weitere Offenbarung
geben kann. Deshalb kommt es konsequenterweise zu einer
präsentischen Eschatologie (vgl. -> Die johanneische Eschatologie).
| 2. Die Erkenntnis des
Sohnes |
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Eine Spannung zwischen vor und nach Ostern (vgl. Mk.:
Geheimnistheorie) gibt es für Joh. nicht. Bereits der
irdische Jesus erscheint als der Erhöhte, die
nachösterliche Christuserkenntnis bestimmt ganz die
Erzählung vom vorösterlichen Jesus. So wird Jesus
schon zu seinen Lebzeiten als Gottessohn verkündigt (1,41;
3,14ff; u.a.m.) und bezeichnet sich selbst auch so (z.B. 4,26;
er nennt sich ganz oft Sohn des Vaters).
Dennoch ist es
durchaus möglich, dass Jesu Gottessohnschaft verkannt
wird. Dies liegt aber nicht daran, dass seine
Messianität verhüllt ist, sondern daran, dass sie sich
nach weltlichen Maßstäben, v.a. ist hier an die
jüd. Messiaserwartung gedacht, nicht unzweideutig ausweisen
kann. Erst wer Jesus als den Messias erkannt hat, versteht das
AT als Weissagung auf ihn (2,22; 12,16). Wer aber Jesus an den
Maßstäben der Messiasdogmatik misst, kann ihn nur
verkennen (5,17f; 7,25ff; 7,40-52; 9,16).
Dieses Problem der
Erkennbarkeit der Messianität Jesu wird ferner durch
folgende Motive zum Ausdruck gebracht (vgl. auch -> Die johanneische Soteriologie):
-
Die häufig begegnenden Missverständnisse
(2,18-22: Gespräch mit den Juden über den Tempel;
3,1-13 Nikodemus: "Von neuem geboren werden"; 4,7-15 Jesus und
die Samaritanerin: "lebendiges Wasser"; 6,52-58 Gespräch
mit den Juden über das "Essen" des "Fleisches" Jesu; 8,21f.
Gespräch mit den Juden über das "Hinweggehen" Jesu;
11,20-27 Jesus und Martha: "Auferstehung"; 14,1-7 Jesus und
Thomas: der "Weg zu den himmlischen Wohnun gen"). Die
Mißverständnisse werden immer ausgelöst durch
den metaphorischen Gebrauch eines Begriffes durch Jesus. Diese
Szenen sollen warnen: Wer Jesus an seinem bisherigen
Weltverständnis misst, wer in ihm nur Ergänzung oder
Steigerung seiner bisherigen Erfahrungen sucht, wer also an
Jesus mit dem falschen Vorverständnis herangeht, der kann
ihn nur missverstehen und verfehlt den Bringer der neuen
Wirklichkeit Gottes.
- Die Rede von den Zeugen für Jesu
Messianität. Zwar wird davon gesprochen, dass der Vater
für Jesus Zeugnis ablegt (5,31+37), andererseits zeugt
Jesus für sich selbst (8,13f). Darin zeigt sich, dass das
Zeugnis des Vaters nicht unabhängig vom Selbstzeugnis Jesu
zu finden ist. Ohne hermeneutischen Zirkel ist Jesu
Gottessohnschaft nicht erkennbar.
Der johann. Determinismus (3,3ff; 6,44; 6,37+39+65;
17,2+6+9+12+24; 18,37; 8,47; 10,3f+14+27). Hier wird ganz klar
festgehalten, dass niemand von sich aus zum Glauben an Jesus
finden kann, wenn nicht Gott selbst diesen Glauben bewirkt.
Dieses Theologumenon ist einerseits wohl ein Reflex auf den
Unglauben, andererseits aber auch Ausdruck der Erfahrung, dass
das zum Glauben kommen eine Verwandlung des Lebens bedeutet, die
nicht aufgrund eigener Initiative und eigener Absicht, sondern
allein durch die Wirkung des in Jesus begegnenden Gottes
geschieht. Nur wer sich auf diese Wirkung einlässt, findet
zum Glauben. Wer sich ihr verschließt, dem bleibt Jesus
unverständ lich (vgl. auch -> Die
johanneische Soteriologie).
| 3. Zur Interpretation der
johanneischen Christologie |
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Umstritten ist seit dem Disput zw. Bultmann und Käsemann
die Interpretation der Christologie:
- Bultmann
betonte das lÒgoj s¦rx
™gšneto (1,14a) und damit die Menschheit Jesu. Denn
für ihn war das Paradoxale und damit
Anstößige an der Behauptung, dieser Jesus von
Nazareth, der "nichts als ein geschichtlicher Mensch" (Bultmann,
Theologie, 9.Aufl. 421) sei der Gottessohn, das Zentrum der
johann. Christologie.
- Käsemann (Jesu letzter Wille nach Joh.17, 1966;
4.Aufl. 1980) betonte das ™qeas£meqa
t¾n dÒxan aÙtoà (1,14b) und
sah den Jesus des Joh. als ein "Gott in Menschengestalt". Der
Evangelist tendiere zu einem "naiven Doketismus" (158).
Hier steht wohl die Auseinandersetzung mit R.Bultmann über
die Bedeutung des histor. Jesus, die im Joh. durch die
Verschmelzung des Auferstandenen mit dem Irdischen ganz
verschwindet, im Hintergrund (161), so dass Käsemann zu
einer kritischen Sicht des Joh.-Evang. kommt: Die alte Kirche
kanonisierte mit dem Joh. eine Theologie, "die schon ein
Menschenalter nach unserm Evangelium als häretisch
verurteilt" (154f) wurde. Käsemann vernachlässigt
allerdings die vielen Aussagen Jesu, die die vollständige
Menschheit Jesu festhalten, und trägt wohl eine falsche
Alternative in die Interpretation ein.
- Kl.Wengst versuchte, das Joh. aus der
Auseinandersetzung mit dem Judentum zu verstehen, und
kommt von hier aus zu einer Ablehnung der Ansätze Bultmann
und Käsemanns. Gegenüber dem pharisäischen
Judentum mit seiner konkreten Messias-Erwartung sollte Jesus als
der Messias Israels verständlich gemacht werden. Dabei
wurde an die Juden keine paradoxe Glaubensforderung gestellt,
sondern durch eine Auseinandersetzung mit der jüd.
Messiasdogmatik versucht herauszuarbeiten, inwiefern es
begründet ist, Jesus als Messias zu verstehen. Die
Christologie ist also nicht als Infragestellung, sondern als
Vergewisserung des Gemeindeglaubens zu interpretieren
(Wengst, 99f). Auch Käsemanns Interpretation ist
abzulehnen: "Dass Jesus ein wirklicher Mensch (...) ist, steht
in dem Streit (...), sondern ist eine (...)
selbstverständliche anerkannte Voraussetzung" (100). Dies
wird dadurch deutlich, dass Joh. die jüdischen
Einwände, die sich auf eine menschliche Herkunft Jesu
beziehen, in keiner Weise bestreitet (7,27-29; 1,46). Wengst
hält an der Gottheit Jesu fest, versucht aber von dort aus
die Niedrigkeit Jesu in den Blick zu bekommen: "Gott erscheint
in der Niedrigkeit, und zwar in der Niedrigkeit dienender und
sich hingebender Liebe" (Wengst, 111). Dabei spielt gerade der
Tod Jesu als Liebeserweis eine zentrale Rolle (vgl. -> Die johanneische Soteriologie). Dann ist
Jesus bei Joh., gerade auch durch Jesu Kreuzestod, die
Proklamation der sich selbst hingebenden Liebe Gottes, die
"zugleich eine Kampfansage an Erniedrigung, Leiden, Tod und
Sünde, die sich im Leben der Gemeinde manifestiert"
(Wengst, 120).
Literatur: Ed.Lohse, Grundriß der
neutestamentlichen Theologie, S.128-132, 136f; J.Becker, ÖTK 4/1, S.55-58;
Kl. Wengst, Bedrängte Gemeinde
und verherrlichter Christus, v.a. S.98ff.
Copyright: Matthias Kreplin, 2000 