Der 1. Johannes-Brief
1. Gliederung und Charakter |
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1.Joh ist kein Brief, sondern eher theologische Abhandlung.
Ständiger Wechsel zwischen dogmatischen (christologischen)
und paränetischen (ethischen) Abschnitten. => Erkennen und Handeln
werden als untrennbar miteinander verbunden verstanden. Es geht um den
rechten Glauben und den rechten Wandel darin.
Eine klare Gliederung lässt sich kaum ausmachen, höchstens
versuchen:
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1,1-4: Präskript: Logos stiftet Gottesgemeinschaft
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1,5-2,27: Wandel im Licht u. Bekenntnis zu Jesus als dem Christus
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2,28-4,6: Tun der Gerechtigkeit und Bekenntnis zu Jesus als dem Christus
als Kennzeichen der Gottesherrschaft
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4,7-5,13: Liebe und Glaube
2. Literarkritische Probleme |
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Literarkritische Hypothesen sind stark umstritten.
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Bultmann findet hier auch seine Offenbarungsredenquelle und stellt
stilistische und sachliche Spannungen fest, so dass er v.a. 2,28 - 5,13
als nachträgliche Komposition aus einzelnen Stücken ansieht.
Ebenso entdeckt er auch seine "kirchliche Redaktion" (Die entsprechenden
Stellen lassen sich aber kontextuell erklären).
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Nauck stellt auch verschiedene Schichten fest, die aber vom selben
Autor stammen, der seine eigene Schrift später nochmals kommentiert
hat.
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Haenchen bestreitet die Unterscheidung verschiedener Schichten und
Stile und spricht sich für die durchgängige Formulierung des
ganzen Textes von einem Verfasser (Joh-Schüler: Stil, Theologie) aus.
Die Annahme der Einheitlichkeit scheint die einfachste und deshalb wahrscheinlichste
Lösung. Widersprüche lassen sich durchaus kontextuell lösen.
Das sogenannte "Comma Johanneum" gilt allerdings sehr sicher als
sakramental-theologischer Zusatz (Bezeugung!) in 5,7f (Text: 7 Drei sind
es, die Zeugnis ablegen: [im Himmel: der Vater, der Logos und der Heilige
Geist, und diese drei sind eins. 8 Und drei sind es, die Zeugnis geben
auf Erden:] der Geist und das Wasser und das Blut. Und diese drei sind
eins.).
3. Sprachliche und theologische
Gemeinsamkeiten und Unterschiede im Vergleich zum JohEv. |
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Gemeinsamkeiten mit JohEv.:
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Weitgehend übereinstimmende Terminologie
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Leben der Glaubenden als Sieg über den Kosmos und Wandel im Licht.
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Ethik konzentriert auf die Bruderliebe.
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neue Geburt.
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präsentische Eschatologie (Joh.5,24f - 1.Joh.3,14)
Unterschiede zum JohEv.:
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1.Joh benutzt wesentlich weniger Präpositionen und Partikel. So fehlen
praktisch gänzlich Ñàn 194x,
dÒxa 18x, kr…nein 19x,
g£r 63x bei Joh.
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Joh.: Jesus=Licht der Welt <-> 1.Joh.1,5: Gott=Licht der Welt. In 1.Joh
sind Licht und Finsternis zeitlich nacheinander geordnet (2,8).
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¢rc» : Joh.1,1 = Uranfang <-> 1.Joh.1,1
= Beginn der Kirche.
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Paraklet: Joh.=Geist <-> 1.Joh.2,1 = Jesus (allerdings ist auch bei
Joh. Jesus wohl bereits als Paraklet gedacht, wenn auch nirgends direkt
so bezeichnet (14,16).
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pneàma: Joh.=Hl.Geist <-> 1.Joh.4,1ff
= auch nicht-christlicher, falscher Geist.
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Ferner findet sich in 1.Joh eine besondere Betonung des Sühnetodes
Jesu (1,7-9). Doch auch in Joh. finden sich Stellen, die Jesu Tod als Sühnetod
verstehen (vgl. Die johanneische Soteriologie).
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Aktuelle Polemik gegen Irrlehren und Irrlehrer (s.u.).
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stärkere Beziehungen zu allgemein urchristlichen Motiven: parous…a
(2,28; 3,2); ¹mšra tÁj kr…sewj
(4,17).
Die Differenzen sind teilweise nur minimale terminologische Abweichungen
oder werden erst aufgrund bestimmter literarkritischer Operationen am Joh.
gefunden. Sie sprechen überhaupt nicht dagegen, dass 1.Joh in der
johann. Schule entstanden ist. Auch eine andere Verfasserschaft ist von
hier aus kaum zu begründen.
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Conzelmann spricht sich für einen Verfasser, der aus der Schule
des Joh-Evangelisten stammt.
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Kümmel betont, dass die Differenzen zw. Joh. und 1.Joh. schwerlich
weiter gehen, als sie bei demselben Schriftsteller in einem gewissen zeitlichen
Abstand begreiflich sind. Da auch die sachlichen Differenzen nicht widersprüchlich
sind, gibt es für Kümmel keine ausreichenden Gründe für
1.Joh einen anderen Verfasser anzunehmen als für Joh. Diesbezüglich
verweist er dann auf den allg. schwachen Informationsstand bzgl. des Verf.
von Joh.
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Zu beachten ist allerdings, dass das JohEv selbst nicht einen einzigen
Verfasser hat, sondern in einem längeren Bearbeitungsprozess entstanden
ist.
5. Abfassungssituation und -zeit |
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Zwei Theorien zur Abfassungssituation und - zeit wurden aufgestellt:
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Im Vergleich zum JohEv kenne der 1.Joh eine veränderte Situation:
Von Irrlehrern, die Jesu Menschheit bestreiten, ist im Joh. nichts spürbar.
Es ist also zu erwarten, dass es einen gewissen zeitlichen Abstand zw.
Joh. und 1.Joh. gibt. Da 1.Joh schon im 2. Viertel des 2. Jhdts bekannt
war, ist anzunehmen, dass seine Entstehung zw. 90 und 110 nChr.
anzusetzen ist.
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Das innergemeindliche Schisma gegenüber Irrlehrern, die die Menschheit
Jesu bestreiten ist zeitgleich mit der Verfolgung der Gemeinde durch das
umgebende Judentum anzusetzen, da die Schismatiker durch ihre Lehre der
jüdischen Polemik entkommen wollten (L.Schenke, das Johannesevangelium).
Demnach könnten 1.Joh und JohEv. zeitgleich entstanden sein.
6. Theologische Schwerpunkte |
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1.Joh ist das Dokument gegen Ketzerei im NT: Ketzer= Widersacher
der Endzeit, Anti-Christ (2,18ff). Ihre zentrale Lehre ist die Bestreitung
der Inkarnation, der Menschheit Jesu (2,23; 4,2).
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Kümmel spricht von einer gnostisch-enthusiastischen Bewegung,
die eine doketische Christologie vertrat, der gegenüber die
Identität Jesu mit dem Christus (4,15; 5,1.5) und die erlösende
Kraft seines Todes (5,6; 1,7; 2,1) als wesentliche Stücke christlicher
Glaubensgewißheit betont werden müssen. Dazu greift der Verfasser
auf traditionelle Bekenntnisformulierungen zurück und verleiht
ihnen eine stark antidoketische Spitze (z.B. 4,2; 5,6). Kümmel betont
ferner, dass die Bekämpfung der gnostischen Irrlehre in einer von
der Gnosis beeinflussten Sprache geschieht, die sich stark mit der Begriffswelt
des Joh. berührt. Die Abwehr der Irrlehrer ist deshalb so schwierig,
weil sie aus der Gemeinde selbst hervorgegangen sind. Die Scheidung
zw. dem pneàma tÁj ¢lhqe…aj und
dem pneàma tÁj pl£naj (herumirrender
Geist) muss jedoch vollzogen werden (4,6). Neben der Abwehr der Irrlehre
spielt die Mahnung zur Bruderliebe eine zentrale Rolle. "Denn mit
der falschen Christologie hängt eine falsche Ethik zusammen. Weil
die Gnostiker die Leiblichkeit nicht ernst nehmen, mißdeuten die
nicht nur die Lehre von der Fleischwerdung Christi, sondern verachten sie
auch die Bruderliebe" (Lohse, 142f - vgl. 1,8+10; 2,3f; 5,2f; 2,9-11; 3,10+14;
4,8+20; 5,2). So wird der Vollzug der Bruderliebe geradezu zum Kennzeichen
des richtigen Bekenntnisses.
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L.Schenke sieht die Irrlehrer in einer judenchristlichen Gruppierung,
die - um der jüdischen Polemik und Verfolgung zu entgehen - die johanneische
Lehre von der Inkarnation des präexistenten Logos, die dem jüdischen
Monotheismus widerspreche und eine Vergöttlichung eines Menschen bedeute,
bestreite. Das Bestehen auf Bruderliebe in der äußeren Bedrängung
durch das Judentum kann auch so plausibel gemacht werden: Die Anpassung
der Christologie an jüdische Gotteslehre ermöglicht es, der jüdischen
Verfolgung zu entgehen. Dagegen erfahren die Vertreter der Inkarnations-Christologie
Verfolgung und sind in dieser Situation auf die gegenseitige Solidarität
angewiesen
Im 1.Joh kann es heißen, der Glaubende sündige nicht (3,9;
5,18), andererseits wird aber gesagt: "Wenn wir behaupten, wir haben keine
Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht
in uns" (1,8). Dieser dialektische Zshg. zw. Glaube und Sünde
kommt dem lutherischen simul iustus et peccator sehr nahe. "Weil die Glaubenden
von der Sünde frei geworden sind, darum werden sie zum Wandel im Licht
und zur Bewährung des Glaubens in der Liebe gerufen. Darin wird der
Sieg des Glaubens über den Kosmos sichtbar" (Lohse, 143 - vgl. 5,1-4).
Literatur: Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch
zum neuen Testament, S.318-323; W.G.Kümmel,
Einleitung in das NT, S.383-393; Lohse,
Grundriß der neutestamentlichen Theologie, S.142-144, L.Schenke,
das Johannesevangelium, S.113-132.
Copyright: Matthias Kreplin, 2000