Gerechtigkeit Gottes (dikaiosÚnh
qeoà) bei Paulus
 
 
 
| 1. Zur Interpretation des Genitivs
dikaiosÚnh qeoà |  | 
Wie ist die Formulierung dikaiosÚnh qeoà
bei Paulus zu interpretieren? Zwei Möglichkeiten gibt es - philologisch
gesehen:
- 
genitivus objectivus - die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt.
- 
genitivus auctoris (als Unterform des genitivus subjectivus) - die Gerechtigkeit,
die von Gott kommt.
Der paulinische Begriff der Gerechtigkeit Gottes ist primär vom Letzteren
her zu interpretieren. Dafür spricht:
- 
dikaiosÚnh qeoà und Ñrg¾
qeoà sind Gegenbegriffe (vgl. Röm.1,18 - 1,16; 3,21),
und zwar bereits in apokalyptischer Tradition.
- 
Der atl. Hintergrund spricht ganz explizit von der dikaiosÚnh
qeoà (zidqat JHWH) als einer Kraft und Qualität
JHWHs, nur Dtn.33,21 begegnet ein genitivus objektivus, der aber in der
LXX nicht mit dikaiosÚnh qeoà wiedergegeben
wird.
- 
Röm.3,3+5 werden Treue Gottes (p…stij qeoà)
und dikaiosÚnh qeoà miteinander
parallelisiert.
| 2. Bedeutung des Begriffs in zwei
fundamentalen Kontexten |  | 
Das durch Christi Tod und Auferstehung erworbene Heil wird bei Paulus
v.a. mit dem Begriff der dikaiosÚnh bezeichnet.
Die dikaiosÚnh ist Heilsgabe des Gottesreiches
(Röm.14,17), sie steht parallel zur swthr…a
(Röm.10,10).
Bei Paulus wird der Begriff ú¿®á¿«¼ª
(ºñ«) in zwei verschiedenen Zusammenhängen gebraucht
(vgl. dazu auch Paulinische Christologie und Soteriologie):
- 
dikaiosÚnh als Rechtfertigung im Gericht
 Der Begriff dikaiosÚnh findet sich
bei Paulus häufig in forensischem Kontext. Dabei ist die dikaiosÚnh
qeoà nicht mit der iustitia distributiva gleichzusetzen,
die Gottes Gerechtigkeit als Überbegriff über seinen strafenden
Zorn und seine belohnende Gnade ansieht, im Sinne einer richterlichen Gerechtigkeit,
die unparteiisch die einzelnen Menschen nach ihren Taten richtet. Vielmehr
ist bei Paulus, wie bereits im AT und in der apokalyptischen Tradition
(vgl. Röm.2,5ff), die dikaiosÚnh qeoà
als iustitia salutifera verstanden. dikaiosÚnh
qeoà und Ñrg¾ qeoà
sind zwei einander ausschließende Handlungsweisen Gottes im Gericht:
Seine Ñrg¾ straft und vernichtet,
sie trifft die menschliche ¢sšbeia und ¢dik…a
(Röm.1,18), Gottes dikaiosÚnh erweist
sich als Bundestreue (Stuhlmacher) und begründet oder erneuert das
Gottesverhältnis. Menschliche dikaiosÚnh
bezeichnet dann die Anerkennung des Menschen im Gericht. Wer von Gott gerechtfertigt
ist, ist d…kaioj, seine Sünden sind
vergeben. Entsprechend beschreibt das Verbum dikaioàn
diesen Prozess der Anerkennung im Gericht. Wer gerechtgesprochen ist, wird
von der Ñrg¾ qeoà bewahrt
(Röm.5,9). Menschliche dikaiosÚnh
ist demnach Gerechtigkeit die von Gott kommt und darum auch vor
Gott gilt. Es findet sich also bei Paulus durchaus die Vorstellung, die
zur Interpretation der Wendung dikaiosÚnh qeoà
als genitivus objektivus herangezogen wird. Der forensischen Auffassung
von dikaiosÚnh qeoà entspricht
in der Christologie die Deutung von Jesu Tod als Sühnetod.
- 
dikaiosÚnh als Gegenmacht gegen die
Sünde
 Während der Plural ¡mart…ai die
Bedeutung "Sündentaten" hat, verwendet Paulus den Singular ¡mart…a
oft in einer fast personifizierten Weise, um damit zum Ausdruck
zu bringen, dass die Sünde eine den Menschen denaturierende Macht
ist, die den Menschen zum Sündigen zwingt (Röm.5,12; 7,14-20).
So wird auch von der Herrschaft der ¡mart…a
gesprochen (Röm.5,21), oder davon, dass der Mensch unter sie versklavt
(Röm.6,6+17ff) oder verkauft (Röm.7,14) sei. Die dikaiosÚnh
qeoà ist nun eine Macht und dÚnamij
Gottes (Röm.1,16f), die der Sündenmacht entgegengestellt ist.
Entsprechend beschreibt das Verb dikaioàn
auch die Übereignung der Heilsmacht der dikaiosÚnh
qeoà, die eine Überwindung der Macht der Sünde
über den Menschen bedeutet (Röm.6,7). Wo so Gottes die Sünde
überwindende Macht zur menschlichen dikaiosÚnh
geworden ist, da ergibt sich die Möglichkeit, ein von der ¡mart…a
befreites, gottgefälliges Leben zu führen (Röm.6,18-23;
2.Kor.9,10; Phil.1,11), also den Dienst der dikaiosÚnh
aufzunehmen (2.Kor.3,9; 11,15) und die eigenen Glieder der dikaiosÚnh
als Waffen zur Verfügung zu stellen (Röm.6,13; 2.Kor.6,7). Dieser
Auffassung von dikaiosÚnh entspricht in
der Christologie die Deutung von Jesu Tod und Auferstehung als Sieg
über die Sündenmacht.
Beide Grundmodelle der dikaiosÚnh werden
durch den Oberbegriff Versöhnung (katallag»)
zusammengehalten (Wichtig: 2.Kor.5,18f). Damit ist ein Neuwerden der
Gottesbeziehung gemeint, die die Menschen einerseits von der drohenden
Ñrg¾ Gottes, andererseits aber
auch von der Macht der Sünde befreit. Damit steht Paulus in der Tradition
der LXX, die Gottes dikaiosÚnh vor allem
als bundesgemäßes Walten in der Gemeinschaft mit seinem
Volk versteht. Gottes dikaiosÚnh stellt
also seine machtvolle Bundestreue dar (vgl. Röm.3,3+5), die
- übereignet an den Menschen - diesem ebenfalls bundestreues Verhalten
ermöglicht. Gottes dikaiosÚnh kann
daneben auch mit seiner Schöpfermacht gleichgesetzt werden.
Denn wer die dikaiosÚnh empfangen hat,
der ist eine kain¾ kt…sij (2.Kor.5,17+21).Gemeinsame Grundstrukturen für beide Konzepte der dikaiosÚnh:
- 
Die dikaiosÚnh  wird immer von
Gott empfangen. Dies zeigt sich daran, dass beim aktiven Gebrauch des
Verbs dikaioàn stets Gott das Subjekt,
beim passiven Gebrauch dagegen immer der Mensch das Objekt ist, der ein
Handeln Gottes erfährt (Ausnahme: Das LXX-Zitat Röm.3,4, das
von der Rechtfertigung Gottes spricht). Ausdrücklich nennt Röm.5,17
die Gerechtigkeit eine Gabe Gottes. Ferner wird der Gabecharakter an
der Rede vom Zuerkennen der dikaiosÚnh
deutlich (Röm.4,3+5+6+9+11+22; Gal.3,6).
- 
Die dikaiosÚnh wird nicht ™x
œrgwn nÒmou sondern ™k p…stewj 'Ihsoà
Cristoà  empfangen (Röm.1,16f; 3,20+26+30; 4,6+11+13;
5,1; 9,30; 10,3-6; Gal.2,16+21; 3,8+11+21+24; 5,4; Phil.3,6+9; u.a.).
- 
Der Empfang von Gottes dikaiosÚnh hat
einen zukünftig eschatologischen Aspekt. Dies wird durch den
Gebrauch des Futurs von dikaioàn deutlich
(Röm.2,13; 3,20+30; Gal.2,16). Dennoch ist wird die dikaiosÚnh
auch bereits in der Gegenwart erlangt (Röm.3,24; 4,2; 5,1+9;
8,30; 1.Kor.6,11).
- 
Obwohl dikaiosÚnh in der LXX die Treue
Gottes in seinem Bund mit seinem Volk Israel bezeichnet, denkt Paulus universalistisch:
Gottes dikaiosÚnh kann sowohl an Juden,
als auch an die Völker übereignet werden (Röm.3,30; Gal.3,8).
Wird die Zweigleisigkeit des paulinischen Denkens gewahrt, kann das Heil
nicht auf eine forensischen Rechtfertigungs-Begriff eingeengt werden, wie
es v.a. in der lutherischen Tradition (z.B. Lohse) geschieht.
 
Literatur: Ed.Lohse, Grundriß der
neutestamentlichen Theologie, S.83-87; G.Schrenk, ThWNT-Artikel d…kh;
P.Stuhlmacher, Gerechtigkeit Gottes; FRLANT 87; 1965.
Copyright: Matthias Kreplin, 2000

