Paulinische Christologie und Soteriologie
 
 
 
| 1. Paulinische Christologie und
der irdische Jesus |  | 
Paulus ist dem irdischen Jesus wohl nie begegnet. Paulus nimmt in seiner
Verkündigung Bezug auf das irdische Wirken Jesu, indem er spricht
von
- 
Jesu Geburt (Röm.1,3f; Gal.4,4).
- 
vereinzelten Worten der Lehre, die er direkt auf den Kyrios zurückführt
(sog. Herrenworte):
- 
 1.Kor.7,10f: Verbot der Ehescheidung.
- 
1.Kor.9,14: Gemeinden müssen für Unterhalt d.Prediger aufkommen.
- 
1.Kor.11,23-25: Einsetzungsworte des Herrenmahls
- 
1.Th.4,15-17: apokalyptisches Herrenwort.
Dabei werden diese Logien der jeweiligen Situation entsprechend durch Ergänzungen
oder Neuformulierungen interpretiert.- 
Evt. verwandte Paulus auch noch weitere Jesus-Tradition, ohne sie
aber ausdrücklich zu kennzeichnen (z.B. Röm.12,7: Vergeltungsverbot
und 12,14: Segnet die Verfolger -> Mt.5,44; Röm.13,8-10: Liebesgebot).
- 
Jesu Leiden, Kreuzigung, Tod und Grablegung. Dabei ist die Art des
Todes Jesu - der schähliche Tod am Kreuz - für Paulus von größter
Bedeutung. Hier bezieht sich Paulus ausdrücklich auf historische Erinnerungen
an den irdischen Jesus.
Die Erzähltradition und die Logienüberlieferung der Evangelien
treten bei Paulus in den Hintergrund. Umstritten ist, ob Paulus die synoptische
Jesus-Überlieferung
- 
nicht kannte (dies wohl weniger der Fall, da er nach seiner Bekehrung in
Syrien wirkte und dort diese Überlieferungen auf jeden Fall bekannt
waren)
- 
in seiner mündlichen Verkündigung zwar benutzte, in seinen Briefen
aber (mehr oder weniger zufällig) nicht darauf zu sprechen kommt.
- 
ganz bewusst aus seiner Verkündigung ausklammerte. Vgl. z.B. R.Bultmann:
"Tod und Auferstehung Jesu ist also das Entscheidende, ja im Grunde das
Einzige, was für Paulus an der Person und dem Schicksal Jesu wichtig
ist - einbegriffen ist dabei die Menschwerdung (...), d.h. in ihrem Dass;
- in ihrem Wie nur insofern, als Jesus ein konkreter, bestimmter Mensch,
ein Jude war" (Theologie, 293). Die Herrenworte ordnet Bultmann dann dem
erhöhten Kyrios zu. Hier wird häufig auch 2.Kor.5,16 angeführt:
"Auch wenn wir Christus kat¦ s£rka kannten,
so kennen wir ihn nun nicht mehr" - doch geht es an dieser Stelle nicht
um "den Christus kat¦ s£rka", sondern
um das "Erkennen kat¦ s£rka".
- 
auf die Sendung Jesu (Geburt, Inkarnation) und sein Leiden, Sterben und
Auferstehung konzentrierte. Wer Jesus war und was er bedeutete lässt
sich für Paulus offenbar aus diesen historischen Erfahrungen erkennen.
| 2. Die Aufnahme urchristlicher Tradition |  | 
Die paulin. Christologie ist ganz stark vom urchristlichen Christus-Kerygma
geprägt. Dies zeigt sich daran, dass Paulus geprägte Formulierungen
aufnimmt, so wohl in:
- 
Röm.1,3f: "...geboren aus dem Samen Davids kat¦
s£rka, eingesetzt als Sohn Gottes ™n dun£mei
kat¦ pneàma ¡giwsÚnhj ™x ¢nast£sewj
nekrîn".
- 
1.Kor.15,3-5: "Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß
der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt
worden, gemäß der Schrift, und erschien Kephas, dann den Zwölf,...".
- 
Röm.3,25: Christus als ƒlast»rion
(Sühnopfer).
- 
Röm.4,25: "Wegen unserer Verfehlungen wurde er hingegeben, wegen unserer
Gerechtmachung wurde er auferweckt."
- 
Phil.2,6-11: Christus entäußert sich seiner Gottgleichheit,
wird gehorsam bis zum Tod am Kreuz und deshalb von Gott erhöht.
Dabei werden traditionelle Formeln von Paulus durch Zusätze
und
Kontext neu interpretiert.Auch in der Verwendung christologischer Titel steht Paulus in
der urchristlichen Tradition. Dabei stehen bei ihm folgende Titel im Vordergrund:
- 
uƒÕj toà qeoà: Damit wird
Präexistenz und Sendung verbunden (Röm.1,3; 8,31; Gal.4,4; u.a.).
- 
Kyrios: Damit wird der gegenwärtige und kommende Herr
bezeichnet, zu dem die Glaubenden rufen (Röm.1,4; 1.Kor.12,3) und
der in naher Zukunft zum Gericht erwartet wird (1.Th.4,15-17).
- 
Der Christustitel verschmilzt mit Jesus zum Eigennamen.
- 
Paulus gebraucht als einzigster ntl. Schriftsteller häufiger das Wort
Kreuz
(staurÒj)
als Bezeichnung für den Tod Jesu. "Daraus ist zu schließen,
dass für ihn die äußeren Umstände des Todes Jesu wichtig
sind; er denkt an den Tod durch das besonders entehrende Hinrichtungsmittel
des Kreuzes bzw. an den durch diese Art der Hinrichtung angedeuteten theologischen
Sachverhalt, dass Gott in Christus sich der äußersten nur denkbaren
Schmach und Niedrigkeit anheimgegeben hat" (Roloff, 190 - vgl. auch
Phil.2,8; 1.Kor.1,17f). Das Kreuz Christi ist dann Gegenbild zu aller eigenen
Kraft (bei den Korinthern Weisheit 1.Kor.1,17-20; bei den Galatern Beschneidung
und Gesetzesgehorsam - Gal.5,11; 6,12+14) und Leistung. "Die Theologie
des Kreuzes ist für Paulus der Ausgangspunkt seines Kampfes gegen
jede Art von Enthusiasmus" (Roloff, 191).
| 3. Kreuz und Auferstehung |  | 
Kreuz (staurÒj, staurÒw )
und Auferstehung (¢n£stasij;
Passiv bzw. Medium von ™ge…rw) sind die zentralen
Ereignisse, die im Wirken Jesu Christi bedeutsam sind. "'Christus verkündigen'
ist für Paulus gleichbedeutend mit 'den Gekreuzigten verkündigen'"
(Lohse, 81; vgl. 1.Kor.1,18; 2,2; Gal.3,1; Röm.14,9). Tod und Auferstehung
Christi sind damit zentrale Heilsereignisse.
- 
Nur der Tod als Heilsereignis: Röm.3,24f; 5,6-8; 14,15; 1.Kor.2,2;
11,24ff; Gal.2,21; u.a.
- 
Nur Auferstehung als Heilsereignis: Röm.1,4; 8,11; 10,9f; 1.Kor.6,14;
15,14; 2.Kor.4,14.; 1.Th.1,10.
- 
Tod und Auferstehung miteinander verbunden: Röm.4,25; 8,34; 14,9;
1.Kor.15,3f.
Die Menschwerdung hat daneben kein eigenes Gewicht, sie ist ganz
auf Tod und Auferstehung hin ausgerichtet (Phil.2,6ff). Tod und Auferstehung
sind nicht isoliert miteinander zu betrachten, sie bilden einen Gesamtzusammenhang,
für den auch ein einziges Ereignis stehen kann.Wie werden nun Tod und Auferstehung interpretiert, so dass sie als das
zentrale Heilsereignis verstanden werden können? Hierzu verwendet
Paulus mehrere Deutungsmodelle:
 
 
| 3.1. Tod und Auferstehung Jesu befreien
vom Zorn Gottes |  | 
Jesus Christus befreit uns von der Verurteilung im eschatologischen
Gericht, der Ñrg» qeoà. Jesu
Tod und Auferstehung bewirken damit Rechtfertigung im Gericht. Diese
Vorstellung liegt überall vor, wo forensischer Sprachgebrauch
begegnet (z.B. dika…wsin, Röm.4,25), oder
wo von der Befreiung von den Sünden (Plural ¡mart…ai)
gesprochen wird (z.B. 1.Kor.15,3+17; Gal.1,4). Das Unheil, von dem Christus
befreit, ist die bereits jetzt geschehende und die noch drohende Strafe
für die begangenen Tatsünden. Wie diese Befreiung im eschatolog.
Gericht durch Jesu Tod und Auferstehung vollzogen wird, erklären verschiedene
Metaphern:
- 
Christus wird als ƒlast»rion bezeichnet
(nur Röm.3,25). Dieser Begriff begegnet in der LXX in zwei Zusammenhängen:
- 
Einmal ist damit die Platte, die auf der Bundeslade liegt bezeichnet (Ex.25,17
22; Lev.16). Auf sie wird am Versöhnungstag das Blut des Sündenbocks
gespritzt, wodurch Sühne für das ganze Volk geschaffen wird.
Auf diesem Hintergrund ist Christus als "Ort erlösender Sühne
für alle Glaubenden" (Wilckens, EKK VI/1, 192) zu verstehen.
- 
4.Makk.17,21 wird dagegen der Tod der Märtyrer als sühnender
Tod für die Sünden des Volkes verstanden. Auf diesem Hintergrund
ist Jesu Tod eine sühnende Ersatzleistung für die Sünden
der Menschen.
Hintergrund der Vorstellungen von Jesu Sühnetod ist die atl.-jüdische
Vorstellung vom Tun-Ergehen-Zusammenhang: Jede Sünde muss von Gottes
Ñrg»
geahndet
werden. Sühne bedeutet in diesem Zshg., dass Gott seine Ñrg»
auf etwas ableitet, so dass der eigentliche Sünder verschont bleibt.
Sühne geschieht auf die Initiative Gottes hin, ist keine Besänftigung
Gottes.- 
Christus als das Passa-Lamm, das für uns geopfert wurde (1.Kor.5,7).
Wie das Blut der Passa-Lämmer an den Türpfosten der Israeliten
diese vor dem Todesengel bewahrte, so bewahrt der Kreuzestod Jesu vor der
Ñrg»
Gottes.
Wie innerhalb dieser Deutungsmodelle der Kreuzestod Jesu dem stellvertretenden
Erleiden von Gottes Ñrg» entspricht,
so steht die Auferstehung für die Gerechtsprechung (Röm.4,25;
doch nicht an allen Stellen explizit zum Ausdruck gebracht). Hier wird
Stellvertretung exklusiv gedacht: Jesus erleidet die Ñrg»
qeoà, damit wir sie nicht erleiden müssen. "Die Voraussetzung
dafür
ist allerdings, dass nur dieser eine jene Tat vollbringen konnte, weil
er im Gegensatz zu allen anderen der Gehorsame war, und dass nur er sie
zu tun brauchte, weil sie ein für allemal gilt" (Roloff, 191). Die
Befreiung von der Ñrg» qeoà
hat eine gegenwärtige (Röm.3,21) und eine futurische
(Röm.5,9f;
1.Th.5,9f) Dimension.
 
 
| 3.2. Tod und Auferstehung Jesu befreien
von lebensfeindlichen Mächten |  | 
Jesu Tod bewirkt die Befreiung von lebensfeindlichen Mächten.
Je nach Kontext hat Paulus verschiedene solcher lebensfeindlicher Mächte
im Sinn. Entsprechend gibt es verschiedene Vorstellungen.
- 
Jesu Tod und Auferstehung bewirken Befreiung vom Gesetz
- 
Jesu Tod bewirkt die Befreiung vom Fluch des Gesetzes (Gal.3,13
). Äußerte sich der Fluch des Gesetzes im eschatologischen Gericht,
dann wäre diese Vorstellung oben einzureihen. Jedoch scheint Paulus
an eine andere verhängnisvolle Wirkung des Gesetzes zu denken: Das
Gesetz fordert (die unmögliche) Erfüllung der Gebote, schließt
damit die Heiden, die das Gesetz nicht haben, von der Gottesgemeinschaft
aus und versperrt den Empfang des pneàma
(Gal.3,10+14). Christus erleidet den Fluch des Gesetzes, so dass wir ihn
nicht mehr erleiden müssen und befreit uns dadurch von ihm (exklusive
Stellvertretung).
Jetzt gibt es den Zugang zur Gottesgemein schaft durch den Glauben.
- 
Dass das Gesetz im Zshg. hier (Gal.3,13) als bedrückende Macht erfahren
wird, zeigt das verwendete Verb ™xagor£zein
(freikaufen), das bedeutet: "Die Ansprüche eines Geschädigten
zufrieden stellen" (Bauer; WB z.NT, Sp.537; mögliche konkrete Situation:
Sklavenloskauf). Das "Freikaufen" vom Gesetz erwähnt Paulus
auch Gal.4,4. Hier steht das Gesetz im Gegensatz zur Sohnschaft, die für
ein gegebenes Gottesverhältnis, nicht für ein erst durch Anstrengung
zu gewinnendes steht. Unklar ist an anderen Stellen, von welchen Mächten
Christus freikauft (1.Kor.6,20; 7,23). Doch geht es im Zshg. darum, die
durch Christus erworbene Freiheit nicht wieder an neue Abhängigkeiten
zu verlieren.
- 
Jesu Tod bewirkt die Befreiung von der buchstabengetreuen Gesetzeserfüllung,
den "das Gesetz herrscht über den Menschen (nur) solange er lebt"
(Röm.7,1). Wer gestorben ist, ist frei vom Gesetz. "So seid ihr gestorben
dem Gesetz durch den Leib Christi" (Röm.7,4). Wer dem Gesetz gestorben
ist, muss ihm nicht mehr dienen ™n palaiÒthti
gr£mmatoj. Dafür gibt es jetzt den Dienst ™n
kainÒthti pneàmatoj (Röm.7,6).
- 
Kreuz und Auferstehung befreien von der Macht der Sünde. Wo
Paulus den Begriff ¡mart…a im Singular
verwendet, denkt er an eine fast personifizierte Sündenmacht, die
den Menschen in ihrer Gewalt hat und zum Sündigen zwingt (Röm.3,9;
5,12; 5,21). Der Mensch ist an die Sünde verkauft (7,17), er ist ihr
Sklave (6,6+17). Dies führt dazu, dass er sarkinÒj
ist (Röm.7,14; 1.Kor.3,1), dass sein Leib ein sîma
tÁj ¡mart…aj ist (Röm.6,6), dass er ein Leben
kat¦
s£rka führt. Wie der Mensch aus dieser unheilvollen Situation
durch Jesu Tod und Auferstehung befreit werden kann, wird verschiedentlich
vorgestellt:
- 
Jesus Christus hat die Sündenmacht in gleicher Weise wie wir erlitten
(™n Ðmoièmati s£rkoj ¡mart…aj
Röm.8,3; vgl. Phil.2,7). Die soteriologisch bedeutsame Tat Jesu besteht
nun darin, dass er, obwohl er im Herrschaftsbereich der Sünde der
Sündenmacht voll ausgesetzt ist, dieser nicht Gehorsam leistet und
sündigt, sondern konsequent nach Gottes Willen lebt. Dies wird deutlich,
wo Paulus von Jesu Gehorsam bis zum Tod am Kreuz spricht (Röm.5,19-21;
Phil.2,8). Denn im Tod ist Jesus noch einmal vollkommen an die Sündenmacht
ausgeliefert, deren Herrschaft sich sich gerade im Tod manifestiert (Röm.5,21).
Die Auferstehung Jesu stellt in diesem Deutungsmodell der Sieg über
die Sündenmacht dar. Christus begründet damit eine der Sünde
entgegengesetzte Herrschaft, die sich über alle Bereiche erstreckt,
über die auch die Sünde herrscht (Röm.14,9). Er wird zu
Gott erhöht (Phil.2,9) und alles wird ihm unterworfen (Phil.2,10;
1.Kor.15,25).
- 
"Wer gestorben ist, ist befreit (dikaiwqÁnai)
von der Sünde" (Röm.6,7). Durch den seinen Tod ist Christus der
Macht der Sünde und auch der Macht des Todes entzogen: "Wir
wissen, dass Christus, von den Toten auferweckt, nicht mehr stirbt, der
Tod hat keine Macht mehr über ihn. Denn durch sein Sterben ist er
ein für allemal gestorben für die Sünde, sein Leben aber
lebt er für Gott." (Röm.6,9f). Durch den Tod Jesu stirbt zugleich
das sîma tÁj ¡mart…aj (Röm.6,6).
der von der Sünde beherrschte Leib.
Beide soteriologischen Modelle sind eng miteinander verwandt: Es geht jeweils
um die Befreiung von einer lebensfeindlichen Macht. In Gal. wird das Gesetz
noch ungebrochen als eine lebensfeindliche Macht verstanden. Im Röm.
dagegen hat das Gesetz durchaus auch positive Funktionen, nur wirkt es
lebensfeindlich, solange es noch von der Sünde missbraucht wird (vgl.
-> Das Gesetz bei Paulus). Wo aber die Sündenmacht
besiegt ist, kann auch die Forderung des Gesetzes erfüllt werden (Röm.8,4).
Das Sterben hat innerhalb dieser verschiedenen Befreiungsbilder verschiedene
Funktionen:
- 
Entzug aus dem Einflussbereich der jeweiligen Macht:
- 
als inklusive Stellvertretung gedacht: Jesus entzieht sich durch
seinen Tod der Sünde (Röm.6,1-11) bzw. dem Gesetz (Röm.7,1-6)
und wir sind in der Verbindung mit ihm der Sünde entzogen (wir sterben
mit und erfahren auch Auferstehung).
- 
als exklusive Stellvertretung gedacht: Jesus bezahlt durch seinen
Tod den Kaufpreis (Gal.3,14; 4,5), den wir nicht bezahlen können (wir
haben lediglich an der Auferstehung Anteil).
- 
Stellvertretendes Erleiden der Gewalt der jeweiligen Macht: Jesus
erleidet den Fluch des Gesetzes, damit wir ihn nicht erleiden müssen
(Gal.3,13; exklusive Stellvertretung: wir haben nur an der Auferstehung
Anteil - verbunden mit dem Loskauf-Modell).
- 
Stellvertretender Sieg über die jeweilige Macht: Christus besiegt
Sünde und Tod (wir haben Anteil an Sterben und Auferstehung: inklusive
Stellvertretung).
| 3.3. Tod und Auferstehung Jesu als
Begründung einer neuen Gottesgemeinschaft |  | 
Jesu Tod und Auferstehung werden auch als Begründung einer neuen
Gottesgemeinschaft verstanden. Dies zeigt sich in folgenden Vorstellungen:
- 
Innerhalb der Herrenmahls-Einsetzungsworte wird Christi Tod als Bundesopfer
verstanden
(1.Kor.11,23-26).
- 
Die Rede von der Versöhnung (katallag»)
spricht auch von einer Neubegründung der Gottesgemeinschaft (Röm.5,10;
2.Kor.5,18ff). Subjekt der Versöhnung ist Gott (2.Kor.5,18f). Dabei
ordnen Röm.5,10; 2.Kor.5,19 die Versöhnungs-Vorstellung dem forensischen
Modell zu. Doch lässt sich 2.Kor.5,21 nicht völlig von forensischem
Hintergrund her verstehen: "Er machte den, der keine ¡mart…a
kannte,
für uns zur ¡mart…a, damit wir in
ihm dikaiosÚnh qeoà würden."
| 3.4. Konstitutive Grundstrukturen
aller Deutungsmodelle |  | 
Die Deutungsmodelle verbinden konstitutive Grundstrukturen:
- 
Die Formelhafte Wendung Øpr ¹mîn
(z.B. Röm.5,6+8; 8,32+34; 14,15; 1.Kor.1,13; 11,24; 15,3; 2.Kor.5,14f;
Gal.2,20; u.a.). Dieses "für uns" kann bedeuten:
- 
"zu unseren Gunsten", "unsretwillen"
- 
"an unserer Stelle" (Stellvertretung)
Beides ist untrennbar miteinander verbunden, denn nach beiden obigen Grundmodellen
kann Christus nur zu unseren Gunsten handeln, wenn er an unserer Stelle
handelt.- 
Erstaunlich ist, dass das Subjekt des Heilshandelns in Kreuzes Tod
und Auferstehung" verschieden sein kann:
- 
Gott gibt seinen Sohn hin (paradidÒnai):
Röm.4,25; 8,3+32; Gal.4,4 (Hingabeformel: Röm.4,25; 8,32; Joh.3,16)
- 
Jesus Christus gibt sich selbst hin: Gal.1,4; 2,20; Kreuzestod als
Ausdruck seines Gehorsams: Röm.5,19; Phil.2,8.
- 
Beide Subjekte können sogar merkwürdig unverbunden nebeneinander
stehen (Röm.5,8).
Diese Widersprüchlichkeit ist nur aufzulösen durch den Gedanken
der untrennbaren Einheit zwischen Gott und Jesus Christus, die sich
konsequenterweise in der Präexistenzvorstellung (z.B. Phil.2,6f) äußert:
Jesus Christus ist so mit Gott verbunden, dass sein Wille und Tun und das
des Vaters identisch sind.
| 4. Die Aneignung des Heils |  | 
Wie wird das durch Christus bewirkte Heil persönlich angeeignet?
- 
Das forensisch begriffene Heil sowie das als Neubegründung der Gottesbeziehung
verstandene Heil ist bereits im Glauben an die in Jesus Christus vollzogene
Heilstat angeeignet. Denn hier geht es ja um eine Erkenntnis einer neuen
Stellung vor Gott und einer durchweg exklusiven Stellvertretung.
- 
Dagegen will die Befreiung von der Macht der Sünde in gegenwärtiger
Erfahrung
erlebt werden, denn hier erwirbt Christus einen neuen Status, der den
Glaubenden zugeeignet werden muss. Hier gibt es verschiedene Modelle:
- 
Identifizierung mit dem Schicksal Jesu:
- 
Wir sterben mit Christus in der Taufe und werden mit ihm die Auferstehung
erfahren (Röm.6,3-11). Hier wird die Identifizierung sakramental verwirklicht.
- 
Durch das Leiden des Apostels trägt er das Todesleiden Jesu selbst
am Leib (2.Kor.4,7-18; vgl. Röm.8,17).
- 
Paulus ist durch das Gesetz dem Gesetz gestorben (Gal.2,19).
- 
Vereinigung mit Christus. Dies kann durchaus in beide Richtungen
gedacht werden.
- 
Christus in uns (Röm.8,10; Gal.2,20); der Geist in uns (Röm.8,9+11)
- 
Wir ˜n Cristù (2.Kor.5,17; 1.Kor.15,22;
Gal.3,28); wir ˜n pneÚmati (Röm.8,9);
synonym mit peripate‹n kat¦ pneàma
(Röm.8,4 u.v.a.) oder kat¦ CristÕn
'Ihsoàn (Röm.15,5).
Dabei zeigt die Synonymität zwischen CristÒj
und pneàma in diesen Zusammenhängen,
wie Paulus sich die Einigung vorstellt: Weniger als mystische Versenkung
in Christus, als durch den Gottesgeist vermitteltes Bestimmtsein durch
die Lebenswirklichkeit Christi (vgl -> Das neue
Leben bei Paulus). Das bedeutet, dass die Glaubenden durch das pneàma
bereits Anteil haben an Christi Sieg über die Sündenmacht und
an der Befreiung aus ihr. Sie sind bereits kain¾
kt…sij (2.Kor.5,17; Gal.6,15). Allerdings sind die Glaubenden damit
noch nicht der von der Sünde beherrschten Welt entzogen. Sie stehen
noch immer im Kampf mit der Welt, dennoch ist dieser Kampf davon
gekennzeichnet, dass die Glaubenden bereits nicht mehr unter der Herrschaft
der Sünde stehen. Bultmann sieht hier den religionsgeschichtlichen
Hintergrund bei den Mysterien-Religionen.- 
Vorstellung vom Leib Christi, an dem die Glaubenden Glieder sind
(1.Kor.6,15-17; 12,12ff; 10,17; Röm.12,4ff).
- 
Gestaltwandel nach dem Bild (e„kèn)
Christi:
- 
Verwandelt werden in das Bild Christi (2.Kor.3,18).
- 
Bei der Auferstehung am Ende der Tage gestaltet werden nach dem Bild des
Himmlischen (1.Kor.15,49; Phil.3,21).
- 
Kleidermetaphorik: Christus als Gewand anziehen (Röm.13,14;
Gal.3,27)
Der Grundtenor ist in allen Modellen aber derselbe: es besteht eine
Spannung zwischen bereits empfangener Heilszueignung und noch ausstehendem
vollkommenen Heilsempfang. Dies wird von Paulus desöfteren so ausgedrückt,
dass er sagt: wir sind mit Christus bereits jetzt im Kreuzestod verbunden,
mit seiner Auferstehung aber werden wir noch verbunden werden (z.B. Röm.6,5).
| 5. Christus als zweiter Adam |  | 
Um die Bedeutung Christi zu beschreiben, verwendet Paulus auch die Gegenüberstellung
Adam-Christus
(1.Kor.15,20-22; Röm.5,12-21 -> Adam-Christus-Typologie). Dabei
wird einander gegenübergestellt:
 
|  | 
| Entsprechung | 
| 
| Durch Adams Übertretung kam die Sünde und damit der Tod zu allen Menschen
 | Durch Christi Gehorsam kommt die Auferstehung und das Leben
 |  | 
| Überbietung | 
| 
| Das Resultat war der Tod | Das Resulat war überreiche Gnade und Leben |  
| Eine einzige Übertretung bringt den Tod für alle | Viele Übertretungen werden aufgehoben |  | 
Dennoch gibt es auch eine Einschränkung:
Während "der
Tod alle Menschen ereilt, ohne dass sie ihm entrinnen können, geht
von Christi Tat keine naturhafte, unwiderstehliche Wirkung aus" (Lohse,
83). Während der Tod jetziges sichtbares Schicksal aller Menschen
ist, wird die Auferstehung als zukünftiges Schicksal geglaubt.
 
Literatur: R.Bultmann, Theologie
des Neuen Testaments, S.292ff; Ed.Lohse,
Grundriß der neutestamentlichen Theologie, S.79-83;  J.Roloff,
Neues Testament, S.190-192.
Copyright: Matthias Kreplin, 2000

