Die Geschichte der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem
| 1. Die Entstehung der nachösterlichen
Gemeinde |
|
Die Entstehung der nachösterlichen Gemeinde wird zwar bei
den Synoptikern auf den irdischen Jesus zurückgeführt (allerdings
wird Mt.16,18 auch im Futur gesprochen: "auf diesen Felsen werde (!) ich
meine Kirche bauen"), doch dürfte dies sekundär sein. Dennoch
gibt es eine Kontinuität zw. vorösterlicher Jüngergemeinschaft
und nachösterlicher Kirche:
-
Die Jüngergemeinschaft und v.a. der wohl bereits vorösterlich
bestehende Zwölferkreis bilden eine personelle Kontinuität.
-
Die Abendmahlspraxis geht auf die Einsetzung des Gedächtnismahls
durch Jesu zurück und knüpft an die vielen Gemeinschaftsmahle
an. Auch die Johannes-Taufe wird wieder aufgenommen.
-
Das Verhalten in der nachösterl. Gemeinde ist an den Normen,
die in der Jüngergemeinde galten (gegenseitiges Dienen) orientiert.
Dennoch ist die eigentliche Entstehung der Kirche an Ostern bzw. Pfingsten
anzusetzen, denn
-
erst mit den Auferstehungserfahrungen und dem darin begründeten Bekenntnis
zum Auferstandenen wird das volle Bekenntnis der Kirche erreicht.
-
erst durch die Geistverleihung an Pfingsten wird die nachösterliche
Jüngergemeinschaft zum endzeitlichen Gottesvolk.
So ist die Entstehung der Kirche mit den Auferstehungserscheinungen
verbunden. Damit ist die Notwendigkeit zu einer historischen Rekonstruktion
der Auferstehungsberichte gegeben. Dabei lässt sich folgendes festhalten
(vgl. Die Auferstehung/Auferweckung Jesu im Kerygma der ersten Christen):
-
Petrus nimmt unter den Auferstehungszeugen eine zentrale Rolle ein
(1.Kor.15,3ff; Lk.24,34; u.a.). Dies begründete wohl seine bedeutsame
Position in der Jerusalemer Gemeinde. Ähnliches gilt wohl auch für
Jakobus
(1.Kor.15,7 ist wohl der Herrenbruder gemeint) und den Zwölferkreis.
-
Die Erscheinungen des Auferstandenen, seinen sie nun in Galiläa oder
Jerusalem zu lokalisieren (Auch Erscheinungserfahrungen an beiden Orten
sind denkbar!), führen zur Versammlung der an die Auferstehung
Jesu Glaubenden in Jerusalem. Es bildet sich der Jerusalemer Urgemeinde,
die sich als eschatologisches Gottesvolk versteht. Die Auferstehungserfahrungen
führen also unmittelbar zu einer (neuen?) Gemeinschaft.
Die Auferstehungszeugen verstehen ihre Erscheinungen als unmittelbaren
Auftrag
zur Mission (zunächst an den Juden). So kommt es, "da keiner der
Augenzeugen gleichsam neutral blieb, und da auch keiner eine Schilderung
seines Erlebnisses hinterlie" (Conzelm./Lindem., 420). Nicht das Wie der
Erscheinung, sondern ihre Bedeutung und Funktion steht im Vordergrund.
| 2. Die Gemeinde in Jerusalem |
|
Über die Gemeinde in Jerusalem wird fast nur in Act. berichtet.
Lediglich bei Paulus (Gal.1f) sind noch einige Hinweise zu finden:
-
Die Jerusalemer Gemeinde besteht aus Judenchristen. Es gibt unter
ihnen allerdings sowohl palästinische (aramäisch sprechende)
und hellenistische (griechisch sprechende) Judenchristen (Act.6).
-
Das Bild in Act., v.a. in den Summarien (2,42-47; 4,32-37; 5,12
16) trägt ideale Züge:
-
Sie sind "ein Herz und eine Seele".
-
Sie feiern gemeinsame Mahlzeiten unter (eschatologischem) Jubel reihum
in den Häusern.
-
Sie nehmen am Tempelgottesdienst teil.
-
Der Herr lässt die Gemeinde sehr rasch wachsen.
-
Viele (Heilungs)Wunder geschehen. Äußeres Zeichen ihrer Liebe
ist die Gütergemeinschaft. Prinzipiell war religiös begründete
Gütergemeinschaft damals denkbar (z.B. auch in Qumran oder bei den
Pythagoreern praktiziert). Der Verkauf des Privateigentums zugunsten der
Gemeinde dürfte aber eher der Einzelfall als die Regel gewesen sein,
da solche Ereignisse besonders aufgezeichnet wurden (Act.4,36f). Auch die
legendarische Ananias-Erzählung (5,1-11) setzt voraus, dass der Besitz-Verzicht
nicht allgemein üblich war (5,4).
-
Das Gemeindeleben umfasste (vgl. Summarien):
-
Gemeinsame Mahlzeiten in den Häusern der Gemeindeglieder (vgl. auch
1.Kor.11).
-
Brotbrechen
-
Gebet
-
Lehrtätigkeit der Apostel.
-
Der Gottesdienst folgte wahrscheinlich dem Vorbild der Synagoge,
war also kein Opferkult, sondern ein Wortgottesdienst mit Gebeten, Schriftlesung
und Lehre. Frühe liturgische Elemente sind wohl der Ruf maranatha,
die Gebetsanrede abba und das christologische Bekenntnis. Taufe
und Abendmahl reichen auch bis in die erste Zeit der Gemeinde zurück.
-
Zum Selbstverständnis als ekklhsia und agioi
siehe "Die ersten Gemeinden und ihr Selbstverständnis".
-
Die Leitungsstruktur der Jerusalemer Urgemeinde änderte sich
im 1.Jhdt öfters. Es lassen sich folgende Etappen erkennen (Genaueres
siehe: "Die Entwicklung der Ämter"):
-
Die Zwölf
-
Die Apostel
-
Die Säulen
-
Die Ältesten
-
Zunächst war die Urgemeinde nicht vom Judentum geschieden.
Man kam weiterhin im Tempel zusammen (Act.2,46; Mt.5,23f). Die Tempelsteuer
wurde offensichtlich auch von den Christen bezahlt (Mt.17,24-27). Das Bekenntnis
zu Jesus als dem Messias brauchte nicht zum Bruch mit dem Judentum führen
(vgl. Rabbi Aqiba, der Bar Kochba für den Messias hielt), denn entscheidend
für Zugehörigkeit zum Judentum ist allein Anerkennung der Verbindlichkeit
des Gesetzes.
-
Die Jerusalemer Gemeinde blieb auch nach dem Apostelkonzil eine rein
judenchristliche Gemeinde, die den Zusammenhang mit dem Judentum durch
das Halten des Gesetzes zu wahren versuchte. Allerdings wird die Situation
immer schwieriger, als der jüdischer Nationalismus in der Zeit vor
dem jüd. Krieg stärker wird. Die Jerusalemer Gemeine gerät
nun in einen Loyalitätskonflikt: Den Zusammenhang mit dem internationalen,
gesetzesfreien Heidenchristentum zu wahren und andererseits mit dem Judentum
verbunden zu bleiben. Dieser Konflikt und der Druck des Judentums auf die
Gemeinde nehmen zu: Jakobus wird 62 nChr. während der Vakanz
in der röm. Statthalterschaft durch den sadduzäischen Hohepriester
Ananos (=Hannas II,) zur Steinigung verurteilt. Euseb zufolge (Kirchengeschichte
III 5,3) flieht die Gemeinde vier Jahre später zu Beginn des jüdischen
Krieges nach Pella im Ostjordanland. Dort verlieren sich ihre Spuren.
Auf Seiten des Judentums wurde durch die Hineinnahme der Verfluchung
der Häretiker in das Achtzehngebet am Ende des 1.Jhdt der Ausschluss
der Christen aus der Synagoge vollzogen, da fortan kein auf richtiger Christ
mehr, dieser liturgische Gebet sprechen konnte. Im Westen des röm.
Reiches führt das gesetzestreue Judenchristentum schon sehr bald nur
noch eine Randexistenz:. Justin (um 150) erwähnt judenchristl. Ketzer,
die ihre Lehre für die Heiden verbindlich machen, Irenäus (um
180) erwähnt erstmals Ebioniten. In Syrien gibt es dagegen
gesetzestreue judenchristliche Gruppen bis ins 5.Jhdt. Doch können
sie sich in der Zwischenstellung zw. Großkirche und Synagoge nicht
mehr halten.
Literatur: Conzelmann/Lindemann, Arbeitsbuch
zum NT, S.419-427.
Copyright: Matthias Kreplin, 2000
