Das Verhältnis des
Johannes-Evangeliums zu den synoptischen Evangelien
1.
Gemeinsamkeiten zwischen den Synoptikern und dem
Johannes-Evangelium |
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- Der Gesamtaufriß entspricht in
großen Zügen dem der Synoptiker: Teil 1 handelt vom
öffentlichen Auftreten Jesu, Teil 2 von seiner Passion in
Jerusalem.
- Joh. verwendet auch die Gattung Evangelium, die nach
dem Prolog mit der Wirkung des Täufers einsetzt, dann von
Jesu Verkündigung und Wirksamkeit erzählt und
schließlich mit Passions- und Osterberichten
schließt.
- Bestand an gemeinsamem Erzählmaterial:
- Tempelreinigung (Joh.2,13-16 vgl. Mk.11,15-17 par)
- Hauptmann von Kapernaum (4,43-54 vgl. Lk.7,1-10 par)
- Speisung und Seewandel (6,1-15+16-21 vgl. Mk.6,30-52
parr)
- Salbung in Bethanien (12,1-8 vgl. Mk.14,3-9 parr)
- Einzug in Jerusalem (12,12-19 vgl. Mk.11,1-10 parr)
- Passionserzählung (ab 18,1)
- wunderbarer Fischzug des Petrus (21,1-14 vgl.
Lk.5,5ff)
Bestand an gemeinsamem Logiengut:
1,23 -> (Mk.1,3); 2,19 -> Mk.14,58 par; 3,3.5 -> Mt.18,3; 3,35
-> Mt.11,27par; 4,35 -> Mt.9,35; 4,44 -> Mk.6,4 par; 5,23 ->
Lk.10,16; 5,46f -> Lk.16,31; 12,25f -> Mk.8,34fpar; 13,16/15,20
-> Mt.10,24; 13,20 -> Mt.10,40; 15,7 -> Mt.7,7; 16,23 ->
Mt.7,7par; 16,32 -> Mk.14,27; 18,11 -> Mt.26,39; 20,23 ->
Mt.16,19/18,18.
2. Unterschiede zwischen den
Synoptikern und dem Johannes-Evangelium |
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- Bei Joh. erstreckt sich Jesu Wirken auf
Judäa, Galiläa und Samaria und
dabei wird von mehreren Reisen nach Jerusalem
berichtet.
- Die Synoptikern datieren Jesu Tod auf den Tag nach
dem Passahmal (15.Nissan), Johannes datiert auf den tag des
Passamahls (14.Nissan),
- Während bei den Synoptikern die Lehre Jesu in Form von
Logien und Gleichnissen überliefert ist und selbst bei
einer Zusammenfassung zu größeren Einheiten ihre
ursprüngliche Selbständigkeit erkennbar ist, sind die
Reden bei Joh. deutlich als in sich geschlossene
größere Einheiten konzipiert. Dabei sind öfter
doppeldeutige oder metaphorisch gebrauchte Begriffe
Ausgangspunkt des Gesprächs (3,3f; 4,10ff; u.a.).
- Gleichnisse fehlen bei Joh. völlig, es gibt
lediglich zwei Bildreden (Joh.10 guter Hirte; Joh.15 Weinstock),
die sich aber stilistisch erheblich von Gleichnissen
absetzen.
- Während bei Joh. alle sonstigen Typen von
Wundererzählungen auftreten, finden sich bei ihm aber
keine Exorzismen. Eigenständige johann.
Wundererzählungen:
- Hochzeit zu Kana (2,1-11)
- Lahmenheilung am Teich Betesda (5,1-9)
- Heilung des Blindgeborenen (9)
- Auferweckung des Lazarus (11)
- Die Wunder gewinnen einen symbolischen oder gar
allegorischen Sinn. Sie sind Ausgangspunkt für Reden
und Diskussionen.
- Das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern fehlt,
ihr letztes Zusammensein ist Ausgangspunkt für lange
Abschiedsreden.
- Bei Joh. erscheint Jesus weder als der Rabbi, der über
Gesetzesfragen disputiert, noch als der Prophet, der die
hereinbrechende Gottesherrschaft verkündet. Jesus redet nur
von seiner Person als vom Offenbarer, den Gott gesandt
hat. Er kämpft nicht gegen Selbstgerechtigkeit und
Unwahrhaftigkeit, sondern gegen den Unglauben an seine
Person. Die Gesetzeskritik (Sabbat) tritt hinter dieser
Fragestellung in den Hintergrund.
- Dass die Person Jesu im Vordergrund steht, zeigen auch die
™gè e„mi-Worte, die bei
den Synoptikern ohne Parallele sind.
- Johannes der Täufer ist nicht mehr der
Bußprediger am Anfang des Evangeliums, sondern der Zeuge
für Jesus als den Sohn Gottes. Doch hat das Problem des
Verhältnisses zu den Johannes Jüngern an Gewicht
Gewicht gewonnen (1,6-8+15+19-36; 3,23-30; 5,33-35;
10,40-42).
- Die Situation der Gemeinde ist der Streit mit dem
Judentum, ob Jesus der Gottessohn sei. Die christliche Gemeinde
ist aus dem Synagogenverband bereits ausgeschlossen (9,22;
16,1-3). Die Distanz zum Judentum ist bereits so groß,
dass Jesus schon gar nicht mehr als Jude erscheint und stets von
"eurem Gesetz" etc. geredet wird. Die Juden erscheinen auch
nicht mehr in ihrer konkreten Differenziertheit (Zöllner,
Fromme, Sünder etc.), sondern sind Repräsentanten der
Welt, die Jesus den Glauben verweigert.
- Die Heidenmission spielt bei Joh. keine Rolle. Der
heidn. Centurio aus Mt.8,5ff ist bei Joh. ein jüdischer
Hofbeamter, die Griechen (12,20ff) sind Festpilger und so wohl
Diasporajuden. Dennoch sind auch die Samaritaner im Blick (4)
und könnte die Heidenmission durchaus bekannt sein (10,16;
11,52).
3. Hypothesen zum
Verhältnis zwischen dem Johannes-Evangelium und den
Synoptikern |
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Folgende Möglichkeiten werden diskutiert
- 1.
Johannes kennt einen oder mehrere Synoptiker.
Wird von
dieser These ausgegangen, dann sind die Differenzen zu
erklären. Dazu gibt es folgende Ansätze:
- Joh. will die Synoptiker ergänzen - Jedoch ist
das Joh. in sich geschlossen und setzt keine anderen Evang.
voraus.
- Joh. will die Synoptiker überbieten oder gar
verdrängen - Jedoch ist eine Polemik gegen die Synoptiker
nicht erkennbar.
- Joh. kennt einen oder mehrere Synoptiker, seine Gemeinde
aber nicht. Er schreibt für diese sein eigenes Evangelium
und lässt sich dabei von den Synoptikern inspirieren.
- 2. Johannes kennt keinen der Synoptiker
Wird von dieser These ausgegangen, dann wäre zu
erklären, weshalb Joh. dann auch die Gattung Evangelium
kennt. Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: - Joh. muss
die Gattung Evangelium ein zweites Mal erfunden haben. Dies
wäre durchaus möglich, da er evt. in SQ und PG bereits
zwei Quellen hatte, durch deren Aneinanderfügung praktisch
der Grundriss eines Evangeliums entsteht.
- Joh. kennt die Gattung Evangelium aus mündlicher
Tradition (Lesungen im Gottesdienst, Erzählungen), ohne
dass jedoch eines der anderen Evangelien Joh. schriftlich vorlag
(berührt sich mit der letzten Möglichkeit unter
1.)
Gegen die These, Joh. kenne einen oder
mehrere Synoptiker, spricht, dass die Gemeinsamkeiten nicht
ausreichen, um eine literarische Abhängigkeit
begründet anzunehmen; sie können durchaus
traditionsgeschichtlich bedingt sein (gemeinchristliche
mündliche Überlieferung). Erzählgut und Logien
weichen nicht unerheblich von den Synoptikern ab (z.B. stehen in
Joh. die mit den Synoptikern gemeinsamen Logien stets in anderem
Kontext). Dies gilt sowohl für eine mögliche
Semeia-Quelle, wie auch für die Passionsgeschichte und die
anderen Schichten/Teile des Evang. Dabei steht SQ mehr der
markin.; PG mehr der lukan. Tradition nahe. Die engste
Berührung gibt es in der PG. Doch auch hier wäre
denkbar, dass Joh. eine (wohl bereits schriftliche)
Überlieferung kennt, die noch von den Synoptikern
unabhängig ist.
Resultat: Joh. muss als
eigenständiges Evangelium (und nicht unter der
Voraussetzung einer literar. Abhängigkeit von den
Synoptikern) interpretiert werden. Wenn Joh. einen oder mehrere
Synoptiker kannte, hat es sie wohl kaum als Quelle benutzt.
Literatur: J.Becker, ÖTK 4/1, S.36-40;
R.Bultmann, Theologie
des Neuen Testaments, S.355-357; Conzelmann/Lindemann; Arbeitsbuch
zum Neuen Testament, S.303-305+307f; H.Thyen, TRE-Art.,
Johannesevangelium.
Copyright:
Matthias Kreplin, 2000